Das Hexenbuch von Salem
hoch. »Vielleicht ist die Pflanze ja von selbst hier gewachsen. Wie Unkraut. Ich kann mir gar nicht vorstellen, warum jemand, der halbwegs bei Verstand ist, so was in der Nähe seines Hauses haben möchte.«
»Und was machst du jetzt damit?«, fragte Liz mit besorgter Stimme.
Connie seufzte, plötzlich überwältigt von der Aussicht auf all die Aufgaben, die vor ihr lagen. Sie hatte keine Lust, sich Gedanken zu machen über solche Dinge wie giftige Pflanzen in der Küche, Schlangen im Wohnzimmer oder unbezahlte Grundsteuern. Alles, was sie eigentlich wollte, war, zu Abend zu essen und einfach so zu tun, als würde es diesen Sommer nicht geben.
»Wir legen die jetzt mal da oben hin, wo kein Hund sie fressen kann«, sagte sie und steckte die Wurzel zwischen zwei geschwärzte Einweckgläser ins Regal.
Connie schreckte aus dem Schlaf hoch, ihr Herz machte einen Satz in ihrer Brust. Über eine Minute lang wusste sie nicht, wo sie war, und sie war sich nicht sicher, ob sie wach war oder noch schlief. Ganz allmählich nahmen die Dinge im Zimmer Gestalt an: der Sessel mit der Gobelinstickerei gegenüber von ihr, der Chippendale-Sekretär wuchtig im Schatten dahinter. Sie fuhr sich mit der Hand übers Gesicht, das dort, wo es gegen die Lehne des Sessels gepresst gewesen war, von blassroten Streifen überzogen war. Langsam traten die Einzelheiten des Traums in den Hintergrund, ließen nur seinen gefühlsmäßigen Inhalt zurück, nicht aber seine Bilder. Vage, beängstigende Schatten beugten sich über sie, lange Stricke baumelten von der Decke, verfolgten sie … Oder waren es vielleicht Schlangen gewesen? Sie spähte in dem kleinen Wohnzimmer umher, dessen scheinbar harmlose Formen so aussahen, als verberge sich etwas Bedrohliches darunter, wie unter einer Haut. Während sie sich um Konzentration bemühte, fühlte sich das Grenzland zwischen Traum und Wirklichkeit wie unwegsames, undeutliches Gelände an. Sie musste in dem Sessel im Wohnzimmer eingeschlafen sein.
Bevor sie sich in eines der Himmelbetten zurückzog, die sie im ersten Stock entdeckt hatten, war es Liz gelungen, ein Fenster im Wohnzimmer aufzustoßen, sodass die überwältigende Muffigkeit des Raumes mittlerweile etwas abgemildert war durch den sanften Hauch des Sommers, der vom Garten hereinströmte. Draußen war nur gelegentliches Grillenzirpen zu hören. Nach ihren Jahren am Harvard Square fand Connie Stille seltsam unheimlich, wie einen Vorboten
von Unheil. Die Stille dröhnte in ihren Ohren, zog ihre ganze Aufmerksamkeit auf sich, während Sirenen vermutlich unbemerkt geblieben wären. Connie war an das Flüstern ihrer Ängste gewöhnt, doch hier, in dieser durchdringenden, beunruhigenden Stille klang dieses Wispern ihrer Furchtsamkeit noch lauter.
Mittlerweile hellwach rutschte sie auf dem Sessel herum und machte sich an der Öllampe zu schaffen, die auf dem Tisch glühte. Connie konnte sich nicht vorstellen, warum ihre Großmutter sich nie hatte Strom legen lassen. Ihr kam es schier unmöglich vor, dass ein Haus im Amerika am Ende des zwanzigsten Jahrhunderts kein elektrisches Licht hatte, doch selbst mit vereinten Kräften hatten sie im ganzen Gebäude weder Schalter noch Lampen oder irgendwelche Leitungen gefunden. Und kein Telefon! Gott weiß, wie ihre Mutter sich das vorstellte, das Haus in diesem Zustand zu verkaufen. Sieht so aus, als würde ich diesen Sommer ziemlich früh ins Bett gehen, überlegte Connie verdrießlich. Wenigstens hatte irgendjemand im Laufe der Jahrzehnte daran gedacht, Leitungen zu verlegen, sodass es fließendes Wasser gab. Genau über der etwas provisorischen Küche im Erdgeschoss lag im ersten Stock ein einfacher Waschraum, der durch einen umgebauten Wandschrank in einem der beiden Schlafzimmer zugänglich war. Darin stand eine tiefe, mit Klauenfüßen versehene Badewanne ohne Duschkopf, eine Toilette mit hölzernem Sitz und Zugkette am Spülkasten sowie einem winzigen Waschbecken. Wie es so ihre Art war, hatte Liz, während sie sich die Zähne putzten, darauf hingewiesen, dass die Badewanne lange, romantische Bäder bei Lampenlicht zu verheißen schien. Als sie das sagte, wurde Connie rot, denn es war ihr peinlich. Mit Männern fühlte sie sich irgendwie unwohl – eine Gehemmtheit, die sie selbst nicht mochte und in der sie sich deutlich von Liz mit ihrer
liebenswerten, selbstbewusst-albernen Art unterschied. Klar, eine Wanne sei super, wenn es denn jemanden gäbe, mit dem man darin baden konnte. Und den gab es
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