Das Hexenbuch von Salem
man noch andere Interessen hat und den Sommer damit verbringt, zu putzen und aufzuräumen und was noch alles«, fuhr er fort. »Aber wir können dennoch den Sommer nicht mehr so betrachten, als wären wir noch gedankenlose kleine Studenten im Hauptstudium, die einfach in den Tag leben, oder?« Auf den Pluralis Majestatis griff Chilton nur in Momenten höchster Verärgerung zurück. »Mein liebes Mädchen, Sie müssen einfach Schwerpunkte setzen. In der akademischen Welt bedeutet Sommer, dass wir das Glück haben, unsere ungeteilte Aufmerksamkeit unserer Arbeit zuzuwenden. Mir wäre es schrecklich, zusehen zu müssen, wie Sie die Chancen, die Sie haben, verplempern.«
Connie sagte nichts, weil sie sich nicht sicher war, ob sie
seinen Ton richtig verstand. Mein liebes Mädchen, dachte sie. Janine Silva wäre stinksauer gewesen, hätte sie erfahren, dass Chilton auf so herabmindernde Weise mit ihr redete. Wenn man ihn darauf angesprochen hätte, das wusste sie, hätte Chilton sein Verhalten nur für ermutigend, ja liebevoll gehalten, und dass er seine männlichen Studenten nie mit solchen Kosenamen belegte, wäre in seinen Augen gewiss nur das Zeichen seiner besonderen Wertschätzung Connie gegenüber gewesen. Sein Lächeln wurde breiter, Herablassung schimmerte in den Mundwinkeln. Ohne nachzudenken, rieb sie den Schlüssel in ihrer Tasche, als bitte sie ihn um Zuspruch.
»Ich habe nicht die Absicht, diesen Sommer meine Zeit zu verplempern, Professor Chilton«, sagte Connie kalt.
»Natürlich nicht, mein Mädchen. Ich wünsche nur nicht, dass irgendwelche Ablenkungen bei Ihnen die Oberhand gewinnen. Alles, was wir brauchen, ist eine bemerkenswerte und ungewöhnliche Primärquelle. Wenn Sie Ihrem kleinen Geheimnis auf der Spur sind, dürfen Sie dennoch nicht Ihr eigentliches Ziel aus den Augen verlieren. In der Tat -« Er legte eine Pause ein, lehnte sich in seinem Stuhl zurück und griff mit seinen langen Fingern nach der Pfeife, die er in einem Messingaschenbecher auf seinem Schreibtisch abgelegt hatte. Während in Chiltons Hand ein Streichholz aufflammte, merkte Connie, dass das Treffen seinem Ende zuging. Er wedelte mit dem Streichholz, um die Flamme zu löschen, und führte seinen Gedanken zu Ende. »Dieser Fund von Ihnen könnte ja durchaus ein glückliches Omen sein. Ihre Quelle wartet auf Sie. Sie brauchen nur genauer hinzusehen.«
Sie erhob sich nickend und schlang sich die Tasche über die Schulter. Mit einer Hand auf dem Knauf seiner Bürotür, drehte sich Connie noch einmal zu ihm um. »Nur aus
Neugier, Professor Chilton«, machte sie einen Vorstoß, ging aber sehr behutsam vor. »Sprechen Sie dieses Jahr auf der Konferenz der Colonial Association? Ich würde gerne wissen, ob ich auch hinfahren soll.« Sie musterte ihn. War ihm überhaupt klar, dass sie ihn auf den Inhalt des Telefonanrufs ansprach?
Eine lange Minute beobachtete er sie unter den halb geschlossenen Augenlidern hervor, als wäge er insgeheim Für und Wider ab. Schließlich zog er mit zwei dünnen Lippen an seiner Pfeife, stieß eine kleine Rauchfahne durch seine Nase aus und gluckste. »Aha«, sagte er. »Dann haben Sie mich also gehört.« Er nahm wieder einen Zug. »Ich arbeite schon geraume Zeit an einem bestimmten Projekt. Vermutlich wird es für die Colonial Association fertig, ja.«
»Und was für ein Projekt ist das?«, fragte sie und ließ ihren Blick ein Stück weit auf seinem Gesicht hinabgleiten. Chiltons Kinn sah schlaff aus. Die Falten rund um seine Augen und den Mund kamen ihr tiefer vor, als sie es in Erinnerung hatte.
»Ach, dafür ist später noch genug Zeit«, sagte Chilton, und seine Stimme klang wie übertüncht mit einer Beiläufigkeit, die dennoch nicht verbergen konnte, dass er ihr auswich. »Ich weiß, dass Sie es kaum erwarten können, mit Ihren eigenen Forschungen fortzufahren.«
»Das stimmt, ja«, sagte Connie und schaute ihm noch einmal ins Gesicht. Er lächelte sie an, aber es war ein Lächeln ohne jegliche Wärme oder Fröhlichkeit. Connie suchte verzweifelt nach einem Wort, das dieses Lächeln umschrieben hätte, doch es fiel ihr nur eines ein: gierig.
Am darauffolgenden Tag lud sich die Sommerluft mit viel Feuchtigkeit auf, und auf Connies Haut lag bereits vom frühen Morgen an eine klebrige Schicht. Die Atmosphäre in
Grannas Haus wurde bleischwer, weshalb Connie auf die Hauptstraße der Siedlung floh, bei der es sich offenbar um Marbleheads Geschäftsviertel handelte. Sie stand in der einzigen
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