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Das Hexenbuch von Salem

Das Hexenbuch von Salem

Titel: Das Hexenbuch von Salem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Howe
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hingen über den blauen Augen, und sie lachte über etwas. Dann verschwand die Vision ebenso plötzlich wieder, und Connie hatte den Eindruck, die Luft würde ihr aus der Brust gepresst. Das Gefühl war so intensiv, dass es sie beinahe aus der Fassung brachte. Es war etwas, das sie einfach nicht mehr als harmlosen Tagtraum abtun konnte; diese Wahrnehmungen waren vollkommen anders, als wäre die wirkliche Welt durch ein buntes Standfoto auf Zelluloid ersetzt worden, das sich über ihr Gesichtsfeld legte.

    »Das stimmt«, erwiderte Sam gerade, klappte das Buch auf seinem Schoß zu und verschränkte die Hände hinter dem Kopf. Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück und stieß den Atem aus, offenbar ohne zu merken, was mit Connie vorging.
    »Nun«, sagte sie mit weicher Stimme und rieb sich die Schläfe. Irgendwann musste sie mal mit jemandem darüber reden – mit Grace. Oder vielleicht mit einem Arzt. »Sieht so aus, als wäre das alles Zeitverschwendung. Danke, Sam, dafür, dass du mir so viel geholfen hast. Ich wollte dich gar nicht den ganzen Nachmittag mit Beschlag belegen.«
    »Machst du Witze?«, erwiderte er. »Die Kuppel läuft mir nicht weg. Ich bin immer um einen Vorwand froh, mich in diesen Archiven hier rumzutreiben. Aber«, fügte er hinzu, »es gibt noch eine Stelle, wo wir nachschauen können. Die Annnalen der Kirchenmitgliedschaft.«
    Connie stöhnte. »Jetzt komm schon. Wenn es eine Person war, was wir gar nicht wissen, dann wurde sie nicht hier geboren, sie heiratete nicht hier, und sie starb auch nicht hier. Wieso sollte sie plötzlich in den Mitgliederannalen auftauchen?«
    Sam stieß, etwas herablassend, die Luft aus. Pffff. »Schau mal an. Und ich dachte, Harvard sei so eine gute Uni.« Er stand auf, holte drei Bände aus dem unteren Regal neben der Tür und warf sie lässig auf den Kartentisch. »Haben sie euch an deiner schicken Uni nicht beigebracht, wie gründlich man bei Nachforschungen sein muss? Oder ist dir das alles nicht so wichtig? Auf geht’s, Streberlein. Noch eine Stunde, dann haben wir’s geschafft.«
    Schuldbewusst griff Connie nach dem Band, der ihr am nächsten lag. Sams neckende, herzliche Art hielt den sich ausbreitenden Schmerz in Connies Kopf in Schach und rief sie zu den wirklichen Freuden ihrer Arbeit zurück. Sie warf diesem
seltsamen jungen Mann, der sie verwirrte, aber auch irgendwie zu besserer Arbeit anspornte, einen anerkennenden Blick zu. Er grinste zurück.
    Schweigend arbeiteten sie eine weitere Stunde lang, blätterten Listen mit Bürgern der Stadt durch, die sich für eine volle Mitgliedschaft in der Kirche beworben hatten, wobei manche Namen über Jahrzehnte hinweg immer wieder auftauchten, bevor ihr Antrag angenommen wurde. Connie staunte über die Reserviertheit, die Engstirnigkeit, die aus diesen Seiten sprach, und spürte, wie ein Widerwille gegen diese Kultur, deren Studium sie ihr Leben gewidmet hatte, säuerlich in ihr aufstieg. An den meisten Tagen liebte sie Archive wie dieses wegen ihrer Undurchdringlichkeit. Da war ein Rätsel, das darauf wartete, gelöst zu werden, und allerlei verschiedene und weit verstreute Fakten konnten, wenn sie wie in einem Puzzle richtig zusammengesetzt wurden, das Bild einer Welt auferstehen lassen, die schon lange aufgehört hatte zu existieren, jedoch fast überall, wo Connie hinschaute, ihre Spuren hinterlassen hatte. Doch manchmal war dieses vervollständigte Bild, auf das die Fakten schließen ließen, erschütternd in seiner Grausamkeit. Denn trotz aller Idealisierung durch die Geschichtsschreibung mit ihrer manchmal blühenden Phantasie hatten diese neuenglischen Siedler ebenso brutal und grob sein können wie alle anderen fehlerhaften Menschen – kleinlich, verschlagen, gerissen. Sie griff nach dem letzten Hauptbuch und blätterte die ersten Seiten durch, bis sie auf die Titelei stieß. Überrascht zogen sich ihre Brauen zusammen. EXKOMMUNIKATIONEN, stand da.
    Das Buch schien technisch noch in Gebrauch zu sein, denn weiter hinten war eine ganze Reihe leerer Seiten. Die letzte verzeichnete Exkommunikation datierte auf das späte neunzehnte Jahrhundert zurück; danach schien die First Church
of Salem ihre Aufmerksamkeit weniger doktrinären Problemen zugewandt zu haben. Viele Kongregationen in Neuengland waren in der Zeit vor dem Bürgerkrieg im Kampf gegen die Sklaverei sehr intensiv tätig gewesen, und Connie vermutete, dass interne Streitigkeiten innerhalb der Gemeinde im Vergleich dazu relativ belanglos gewirkt

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