Das Hexenbuch von Salem
Erhaltung von historischen Sehenswürdigkeiten«, erläuterte er.
Connie schaute auf die vielen Reihen historischer Akten, die so lange ungestört geblieben waren. »Das wird hier wohl eine ganze Weile dauern«, sagte sie.
»Hatte sowieso gerade keine Lust mehr auf Malen«, sagte Sam mit einem Lachen.
Drei Stunden später saßen Sam und Connie Rücken an Rücken am Kartentisch, die Hände verklebt mit Spuren der Buchrückenbindung, und machten eine Pause. Sie hatten den Kartenkatalog nach dem Namen in allen möglichen Schreibweisen durchsucht, und als sich das als vergeblich herausstellte, hatten sie damit begonnen, jeweils zwei oder drei der ledergebundenen Hauptbücher aus den Regalen zu ziehen, beginnend mit den ältesten. Bislang hatte auch hier ihre Suche nicht gefruchtet – keine Deliverance Dane war in den Taufregistern von I629 bis ins Jahr I720 zu finden.
»Wenn Dane ihr Ehename war, dann steht sie damit natürlich nicht im Taufregister«, hob Sam hervor.
»Wohl wahr«, sagte Connie. »Aber irgendwo musste ich anfangen. Das ist auch ein Grund, warum es so viel verzwickter ist, Frauen zu suchen als Männer. Die können ihren Namen mehrfach ändern, je nachdem, wie oft sie heiraten.« Sie hielt inne. »Das ist fast so, als würden sie zu anderen Menschen.«
Als Nächstes fanden sie nur einige verstreute Einträge zu Eheschließungen von Menschen mit dem Namen Dane,
einschließlich einer Marcy Dane, die im Jahre I7I3 einen gewissen Lamson geheiratet hatte. Keine der verheirateten Danes hieß Deliverance, und offenbar waren sie auch nicht verwandt. Ganz sicher konnten sie jedoch nicht sein, da aus den Heiratsregistern der Siebzigerjahre des siebzehnten Jahrhunderts offenbar einige Seiten fehlten. Nach ein paar Stunden ergebnisloser Nachforschungen begann sich langsam der Verdacht zu erhärten, dass es sich bei den Worten auf dem Zettel gar nicht um einen Namen handelte.
Sie stürzten sich auf die Sterberegister, die sie rasch durchblätterten.
»Ach, hier ist wieder die arme Marcy Lamson«, murmelte Conny und blätterte eine der brüchigen Seiten im Sterberegister der Jahre I750-I770 um. »I763 ist sie gestorben.« Irgendwie verspürte sie ein seltsames Ziehen in ihrer Brust, ganz fremd und feierlich. Connie stützte das Kinn auf eine ihrer schmutzigen Hände und starrte ins Leere.
»Was ist?«, fragte Sam und schaute von dem Sterberegister I730-I750 auf.
»Ach, eigentlich nichts.« Connie seufzte. »Hab nur nachgedacht.«
»Das ist seltsam, nicht?« fragte Sam, beugte sich zu ihr über den Kartentisch und senkte die Stimme.
»Was ist denn so seltsam?«, fragte sie und wandte sich ihm zu.
»Du lebst dein Leben, mit all deinen Gedanken, deinen Liebesaffären, deinen Ängsten. Doch irgendwann verschwinden all diese Dinge von dir. Dann verschwinden auch die Menschen, die sich an diese Dinge von dir erinnern, und irgendwann ist das Einzige, was von dir übrig ist, dein Name in einem Hauptbuch. Diese Marcy zum Beispiel – die hatte doch bestimmt eine Leibspeise. Sie hatte Freunde und kannte Menschen, die sie nicht mochte. Wir wissen nicht mal, wie
sie gestorben ist.« Sam lächelte traurig. »Ich denke, deshalb gefällt mir Denkmalschutz auch besser als Geschichte. Beim Denkmalschutz habe ich einfach das Gefühl, ich kann meinen Beitrag dazu leisten, dass nicht alles verschwindet.«
Während er das sagte, bemerkte Connie, dass sein Gesicht auf eine wundervoll makelhafte Weise schön war – diese scharfe, gerade Nase, die sich pellte, weil er Sonnenbrand hatte; und diese schelmischen grünen Augen, von tiefen Lachfältchen eingerahmt. Das Haar hatte er sich zu einem Pferdeschwanz zurückgebunden; es war braun, mit blonden Strähnchen von der Sonne. Connie lächelte ihn an.
»Das sehe ich ein. Aber die Geschichte ist gar nicht so anders, als du denkst.« Sie fuhr mit den Fingern über Marcy Lamsons Namen, der mit Tinte geschrieben auf der Seite stand. »Glaubst du nicht, Marcy wäre überrascht, wenn sie wüsste, dass irgendwelche Leute im Jahre I99I ihren Namen lesen und über sie nachdenken? In gewisser Weise« – Connie zögerte – »schenkt ihr das eine Art von Unsterblichkeit. Wenigstens bleibt sie dadurch in Erinnerung. Oder es denkt jemand an sie. Nimmt sie wahr.«
Als sie mit der Fingerspitze die Seite berührte, sah Connie mit verblüffender Klarheit das Gesicht einer lächelnden Frau vor sich, sommersprossig, mit einem breiten Strohhut beschattet. Sie war alt, schwere, schlaffe Lider
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