Das Hexenbuch von Salem
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»Besen? Schwarze Katzen?«, neckte er. »Du weißt schon. Hexenkram.«
Connie schnaubte. »Na ja, die Katze ist das Zaubertier. Aber es gab nicht immer nur Katzen.«
»Zaubertier?«, fragte er und spielte mit einem Kristall an einem langen Lederband, das an einem der Stände feilgeboten wurde.
»Ein Teufel oder Dämon in Gestalt eines Tieres, das der Hexe untertan war. In einem der Protokolle der Hexenprozesse von Salem habe ich gelesen, dass sie eine arme Frau dafür anklagten, dass sie einen unsichtbaren gelben Vogel auf der Schulter hatte. Ein kleines Mädchen, das vor Gericht stand, sagte aus, seine Mutter habe ihr eine Schlange als Zaubertier gegeben, die sie sich aus einer Warze zwischen ihren Fingern gesaugt habe.« Connie runzelte die Stirn. »Ich weiß, warum die Volkskunde an diesem Punkt Hexen nur mit Katzen in Verbindung bringt. Vielleicht haben Katzen ja ihren eigenen kulturellen Stellenwert, der mit dem der Hexen vermischt wurde. Und bezüglich des Besens weiß ich nur das, was Liz mir auf einem Holzschnitt in einem Buch gezeigt hat, das sie zur Vorbereitung auf ihre mündlichen Prüfungen gelesen hat.«
»Erzähl mal«, forderte er sie auf.
»Die Sache mit dem Besen ist verrückt«, sagte sie. »Also: Zuerst einmal zog sich eine mittelalterliche Hexe auf ihrem
Weg zum Hexensabbat splitternackt aus.« Sie lachte, als Sam blass wurde. »Dann schmierte sie ihren Körper mit Flugsalbe ein, bestieg ihren Besen mit dem Reisigende nach vorne - das ist wichtig, weil der Besen hier angezündet wurde, damit sie beim Fliegen im Dunkeln sehen konnte -, dann sagte sie einen Zauberspruch und wurde den Schornstein hochgetragen. Ist das nicht verrückt?«
»Mhhm. Flugsalbe«, sagte Sam, die eine Augenbraue hochgezogen.
»Halt die Klappe«, neckte sie und versetzte ihm einen spielerischen Schlag auf die Brust.
Eine Gruppe von Frauen mittleren Alters mit Kameras schlurfte vorbei; alle trugen Shorts und Hexenhüte mit Federn und hatten prallgefüllte Plastiktüten dabei, auf denen die Aufschrift eines Veranstalters prangte, der themenbezogene Touren durch die Stadt des Hexenwahns organisierte. Ein junges Mädchen mit dicken schwarzen Eyelinerstrichen um die Augen posierte mit Schmollmund vor einem Laden, der sich als Wachsfigurenkabinett gerierte und einen KERKER MIT 3-D-HEXENVERBRENNUNG anpries.
»Die spielen dieses ganze Hexenzeug hier nach, stimmt’s?«, überlegte Connie.
»Heute ist Mittsommernacht«, sagte Sam. »Wenn du das schon schlimm findest, dann solltest du mal sehen, was hier an Halloween abgeht.«
»Ja, aber es spricht auch dafür, wie entfremdet wir schon unserer Geschichte sind«, grummelte Connie, und ihre blauen Augen verdunkelten sich. »Mehrere Generationen lang waren die Hexenprozesse den Leuten so peinlich, dass niemand darüber reden wollte. Bis zum Ende des neunzehnten Jahrhunderts gab es nicht einmal eine geschichtliche Aufarbeitung des Themas. Und jetzt schau dir das an – das ist wie Karneval.«
Connie sah sich unter den entspannten Leuten um, die auf der Esplanade herumwuselten und in die Fenster der Kostümverleihe und Kartenleser schauten. Sie versuchte, sich andere gewaltsame, unterdrückerische Perioden der Geschichte vorzustellen, die in ähnlicher Weise in eine Quelle des Amüsements und des Tourismus verwandelt worden waren, doch es wollte ihr keine einfallen. Gab es denn in Spanien Wachsfigurenkabinette mit Szenen, wo Menschen auf das Rad geflochten wurden?
»Am gewaltsamen Tod ist etwas Faszinierendes«, bemerkte Sam, der ihre Ablehnung spürte. »Besonders, wenn er jemandem zustößt, der sehr weit von einem entfernt ist. Schau dir den Tower von London an. Bei den Führungen dort geht es die ganze Zeit nur ums Köpfen. Generationen von Königen und Königinnen in Ketten, die man einen Kopf kürzer macht. Und wenn man schon mal da ist, kann man auch noch schnell die Kronjuwelen bewundern. Ihr Reichtum und ihre Privilegiertheit machen sie uns fremd, ganz abgesehen von ihrem Platz in der Vergangenheit. Und wir fühlen uns kein bisschen schuldig dafür, dass wir in ihrem Leid schwelgen.«
»Es ist schrecklich«, sagte Connie. »Die Menschen, die hier in Salem vor Gericht gestellt wurden, waren ganz normale Leute, wie du und ich.«
»Es ist nicht alles schlecht«, erwiderte Sam und führte sie weg von der Treppe des Wachsfigurenkabinetts. »Eine seltsame Nebenwirkung dieses ganzen Hexenkrams ist, dass Salem zu einem großen Anziehungspunkt für die Heiden von
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