Das Hexenbuch von Salem
seinen leidenden Blutstrom einfließen ließ. Unter ihren Fingerspitzen wurde die Haut des Jungen tief purpurrot, und er gab ein Wimmern von sich. Leise flüsterte sie eine Abfolge von Worten und ließ ihn dann los.
»Geh heim«, sagte sie. »Und nach starken Getränken wird dir der Sinn nicht mehr stehen.«
Der Junge berührte langsam sein Gesicht, wo die roten Striemen sich bereits in Nichts auflösten, und er blinzelte. Seine Augen waren klar. Er schluckte, schaute Prudence mit leichter Beunruhigung an, drehte sich dann um und floh die Gasse entlang, die zu den Docks führte. Sie schnaubte freudlos.
Am Ende der Gasse, wo der Junge um die Ecke bog und verschwand, rief jemand: »Achtung, Eimer!«, und der feuchte Inhalt eines Nachttopfes wurde aus einem der Fenster auf die Straße gekippt.
»Dir geb ich’s da oben, du Schwein!«, rief ein vorbeigehender Schauermann, dem es die gesamte Hose vollgespritzt hatte. Ein übler Geruch machte sich auf dem schmalen Weg breit, und Prudence rümpfte angewidert die Nase.
Sie zog die Tür zum Wirtshaus auf und blickte ins Innere, auf der Suche nach dem Mann, mit dem sie eine Verabredung hatte. Dicker Rauch aus den Tabakspfeifen und der großen gemauerten Feuerstelle am anderen Ende des Raumes hing in der Luft und ließ die Grüppchen von Männern,
die auf den niedrigen Bänken rund um die grob gezimmerten Tische hockten, wie hinter einem Schleier verschwinden. Es roch nicht unangenehm nach Holzrauch und Bier, nach köchelndem Fischeintopf und nach den feuchten Wollmänteln, in denen noch das Meerwasser hing. Prudence nahm das schwere Bündel, das sie auf der Hüfte trug, auf die andere Seite und fuhr gedankenlos mit der Hand über das Mieder, mit dem ihre Leibesmitte eingeschnürt war. Der durchdringende Duft nach Eintopf machte ihr den Mund wässrig, und sie fragte sich, ob jener Mann – dieser Robert Hooper – wohl davon zu überzeugen wäre, ihr etwas zu spendieren.
»Prue«, begrüßte sie mit überraschter Stimme der Wirt und nickte ihr zu.
»Joe«, sagte sie und erwiderte sein Nicken. Quer durch den Raum mit den angeheiterten Gästen bahnte sie sich einen Weg zu ihm, wobei sie mehrmals die abtrünnigen Hände von ein paar Betrunkenen abwehren musste, die die schmutzige Kleidung von Fischern trugen. »Habt Ihr heute einen gewissen Robert Hooper gesehen?«, fragte sie und gelangte schließlich am Tisch des Wirtes an. Er hatte einen Bierhumpen neben sich stehen, und eine junge, lachende Frau, der die Spitze ihres Leibchens aus dem Ausschnitt der Jacke quoll, saß bei ihm auf der Bank. Ihre Wangen waren so rot, wie es die Natur gewiss nicht vorgesehen hatte.
Joseph Hubbard hob die Hand und kratzte sich den Backenbart, während er die andere Hand auf sein ausgestrecktes Knie legte. Sein gewaltiger Bauch hing über den ausgeleierten Bund seiner Hose, und sein Wams stand offen. Unter buschigen grauen Brauen glänzten seine dunklen Augen. »Meint Ihr etwa den Robert Hooper vom Hügel am Exerzierplatz? Schönes, großes Haus hat der. Neu gebaut.«
»Genau der«, sagte sie und blickte sich auf der Suche nach
einem Mann, auf den diese Beschreibung passen könnte, in der Schänke um. Das Goat and Anchor war wohl kaum dafür bekannt, die feinen Herrschaften oben auf dem Hügel zu seinen Gästen zu zählen. Joe stieß ein kräftiges Lachen aus.
»Hat wohl ein Geschäft mit Euch vor, was?«, fragte der Mann und nahm einen Schluck aus seinem Krug.
»Jawohl«, sagte Prudence. »Dann warte ich eben.« Sie entdeckte eine leere Bank an der Wand und legte ihr Päckchen auf den Tisch. Während sie es sich bequem machte, rückte sie ihre Morgenhaube zurecht, steckte ein paar lose Haarsträhnen an ihren Platz zurück und zupfte an den Manschetten ihres Kleides, um die Knitterfalten glatt zu streichen. Immerhin würde Robert Hopper ein schmucker Mann sein.
»Für sein Eheweib braucht er Euch wohl kaum, meine ich, das arme Ding!« bellte Joe und gab dem Schankmädchen ein Zeichen. Die Frau, die bei ihm saß, gab ein hohes, kreischendes Lachen von sich und bedeckte ihr Gesicht mit einem Fächer. Dann ist sie nicht mehr so jung, wie ich dachte, überlegte Prudence. »Ihr kriegt sie schon wieder hin«, gluckste Joe. »Bringt bei seinem Mädchen wieder alles in Ordnung, hoffe ich.«
Prudence schaute finster drein, verärgert über seine Andeutungen. »Wie geht es denn Mrs. Hubbard mit der kleinen Mary?«, fragte sie betont. Das Schankmädchen stellte einen Krug vor sie hin, warf Joe
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