Das Hexenbuch von Salem
dem Buch.
»Bemerkenswert«, sagte er, während er langsam in dem Buch blätterte. »Gewiss nicht alles von ein und derselben Hand geschrieben, oder?« Er blickte zu ihr auf.
»Nein, in der Tat nicht«, sagte sie.
»Und was ist das, Latein?« Er schlug eine weitere Seite auf, spähte auf den Text.
»Das meiste ist Latein, ja. Auch etwas Englisch, gegen Ende. Und einiges ist verschlüsselt. Mehr kann ich nicht sagen.«
»Und in Eurer Nachricht erwähntet Ihr, es sei aus England gekommen.«
»So sagte man mir, ja«, erwiderte sie. »Eine Art Familienalmanach.«
»Wie überaus sonderbar«, sagte der Mann und strich mit einer Zärtlichkeit, die sie überraschte, über die Lederbindung. Seine Finger, das sah sie, waren noch immer schartig, rau, schwielig. Vielleicht rührte seine Leidenschaft für alte Bücher ja daher, dass er selbst nie welche besessen hatte. »Und Ihr wisst nichts über das Alter? Von wann ist der älteste Eintrag?«
Prudence hob eine Augenbraue und nippte dann geziert an ihrem Eintopf, ohne etwas zu sagen. Einen Augenblick lang saßen sie schweigend da, Hooper schaute mit zusammengekniffenen
Augen auf eine Seite, die über und über mit Symbolen und Kreuzzeichen bedeckt war. Prudence fragte sich, wann die Zeit gekommen war, über Geld zu reden.
»Ich kann kein Latein«, gestand Hooper, ohne sie anzuschauen.
Sie blickte ihn aufmerksam an, die Hände unter dem Kinn gefaltet, doch innerlich gab sie einen kleinen Seufzer von sich. Jeder besitzt Wunden, die nach Heilung verlangen , dachte sie. Und anscheinend finden sie alle ihren Weg zu mir. Sie schaute sich diesen wohlhabenden jungen Mann an, der da vor ihr saß, und versuchte die Gegenden in seinem Körper zu erspüren, wo die Schädigung vorlag. Allein der Gedanke machte sie müde.
»Aber ich denke, mein Sohn sollte es lernen«, fügte er hinzu und blickte auf.
Sie ließ den Blick aus blassen Augen noch einen Moment lang auf ihm ruhen, ohne etwas zu sagen. »Warum trachtet Ihr danach, alte Bücher zu kaufen, Mr. Hooper?«, fragte sie schließlich und spielte mit dem Griff ihres Zinnlöffels.
Er schluckte verlegen. »Meine Geschäfte haben sich in letzter Zeit gut entwickelt«, begann er, »sehr unterstützt durch eine fruchtbare Verbindung zu einigen Handelshäusern in Salem.« Er nahm einen großen Schluck von seinem Punsch und wollte sich gerade den Mund mit dem Ärmel abwischen, als ihm einfiel, was er da tat. Ein zartes Taschentuch erschien aus dem Inneren seines Ärmels, und er betupfte sich damit die Mundwinkel, bevor er es wieder verstohlen wegsteckte.
»Ich bekam … Nun, ich wurde von einigen Gentlemen dazu eingeladen, an ihrem Montagabendclub teilzunehmen. Und jetzt hat der Club, der aus mehreren, überaus gebildeten Gentlemen von bester Herkunft und erlesenstem Geschmack besteht, beschlossen, eine private Gemeindebücherei ins Leben zu rufen, damit wir alle gemeinsam von unseren
literarischen und wissenschaftlichen Interessen profitieren.« Er hielt inne und drehte seinen Punschbecher, der vor ihm auf dem Tisch stand, hin und her. »Wir wurden gebeten, Bände aus unseren eigenen Sammlungen zu spenden, wisst Ihr.« Er blickte zu ihr auf.
»Und Ihr habt keine«, beendete sie den Satz für ihn.
»Ich habe bereits einige feine Stücke erwerben können und hege die Hoffnung, noch weitere zu erstehen. Allerdings war bislang nichts so außergewöhnlich und selten wie das Eure.« Er griff in seine Tasche und legte einen Zugbeutel aus Leder zwischen sich und Prudence auf den Tisch. Er sah schwer und wohl gefüllt aus. »Ich frage mich, wie Ihr es ertragen könnt, Euch davon zu trennen«, sagte Hooper und betrachtete sie.
Übelkeit erfasste Prudence, als sie den kleinen Beutel anschaute, der da auf dem Tisch neben ihrem Almanach, genauer gesagt dem Almanach ihrer Mutter, lag, denn schließlich war Mercy zwar gebrechlich, lebte aber immer noch bei ihr zuhause. Auf einmal stand das Bild des gealterten, aber unverändert schönen Antlitzes ihrer Mutter vor ihrem inneren Auge, und es war wieder das Geflüster und Gerede zu hören, das sie ihr ganzes Leben lang verfolgt hatte. Mercy hatte mehr Kraft als sie selbst, und sie trug den Kopf hoch, jeden lieben langen Tag. Prudence wusste, was für ein gewaltiges Wissen ihre Mutter in diesem Buch zusammengetragen hatte, doch sie selbst empfand nur Ärger, wenn sie daran dachte. Ihre Mutter hatte ihr ganzes Leben lang am Rande der Gesellschaft verbracht. All die Bitterkeit, die Prudence den
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