Das Hexenbuch von Salem
Nachbarn hätte entgegenbringen können, welche ihre Mutter ausgrenzten und manchmal noch immer untereinander flüsterten, wenn Prudence Patty ins Bethaus mitnahm, richtete sich auf dieses verdammte Buch und seine zerschlissene Lederbindung.
Dann dachte sie an Josiah und an den stechenden Schmerz in seinem Rücken, über den er oft klagte und der sich jeden Tag verschlechterte, welchen er mit dem Entladen von Schiffen unten am Dock verbrachte. Prudence stellte sich das ruckhafte Reißen eines schadhaften Taus vor, hörte das Rumpeln mehrerer schwerer Holzkisten, die sich aus ihrer Bindung lösten und auf den Landungssteg hinabsausten, direkt auf die erschrockene Gestalt ihres Ehemanns zu. Wenn man ihr Josiah nehmen würde, könnte sie sich kein Leben mehr vorstellen. Sie schloss die Augen, um das Bild zu vertreiben. Ihr Vater war von einem Moment zum nächsten weg gewesen, von der See mit sich gerissen, und auch der Vater ihrer Mutter, dahingerafft wie alle Männer, die mit Prudences Vorfahrinnen den heiligen Bund der Ehe geschlossen hatten. Wenn sie das Buch loswurde, dann könnte sie vielleicht Josiah retten, könnte ihn vor der rachsüchtigen Hand der Vorsehung bewahren. Der Herr hat’s gegeben, und der Herr hat’s genommen. Prudence wollte nichts anderes, als das Buch aus dem Haus haben, weg von ihr selbst, damit es ihrer Familie nicht mehr schaden konnte.
Gewiss bebte und zitterte Prudence, wenn sie daran dachte, was Mercy wohl sagen würde, wenn ihr Verrat entdeckt wurde. Doch Mercy war auf ihre alten Tage träge und müde geworden; ihre Nachmittage verbrachte sie damit, im Garten herumzuwerkeln, mit Patty strickend in der Küche zu sitzen oder zusammen mit dem Hund unter einem Baum ein Nickerchen zu halten. Es war Jahre her, seit sie nach dem Buch gefragt hatte, und noch länger war es her, seit irgendjemand sie um Rat gefragt hatte. Mercy Lamson schlenderte müßig durch ihre Tage, die sich kaum voneinander unterschieden, und irgendwann, in nicht allzu ferner Zeit, würde der letzte davon anbrechen.
Dann dachte Prudence an Patty, die seit Weihnachten um
fast drei Zoll gewachsen war. Ihre stets hüpfende, warmherzige Tochter, so geschickt im Garten und im Umgang mit den Hühnern, die die Familie hielt und die ihr jeden Morgen Eier legten, so schön und rund wie winzige Melonen. Was hatte Patty schon mit alten Zaubersprüchen und Aberglauben zu schaffen? Das Geld aus dem Lederbeutel könnte man für eine Aussteuer beiseitelegen, oder man könnte damit das Haus in der Milk Street auf Vordermann bringen. Patty, mit ihren sommersprossigen Wangen und ihren blauen Augen, die strahlend und fröhlich blickten, nicht so kalt und verhärmt wie die von Prudence. Denn wenn Patty erst einmal so alt war wie sie selbst jetzt, dann würde das neunzehnte Jahrhundert angebrochen sein. Manchmal versuchte sich Prudence die Welt vorzustellen, in die das Schicksal ihre Tochter – die jetzt noch so fahrig und ungeschickt war, dass bei ihr ständig Teetassen zu Bruch gingen – schleudern würde, und während sie das tat, sah sie das Fließen der Zeit vor sich, wie sie sich weiter entspann, weg von jenem stillen Platz in der Küche ihres Hauses, unfassbar lange und fern. Manchmal schien ihr das alles so gewaltig, dass es sie zu überwältigen drohte und ihr Angst machte.
Prudence biss die Zähne zusammen und legte die erloschene Pfeife beiseite. Sie griff nach dem Beutel.
»Ich habe keine Verwendung mehr dafür«, sagte sie schlicht.
Ohne ein weiteres Wort erhob sie sich, steckte den kleinen Beutel ein, nickte dem überraschten Robert Hooper zu, durchschritt den lärmenden Schankraum und trat hinaus in ihre Zukunft.
DREIZEHN
Cambridge, Massachusetts
Anfang Juli 1991
C onnie nahm einen tiefen Schluck von ihrem Cocktail und bemerkte zu ihrer Verärgerung, dass ihre Hand zitterte, als sie das Glas wieder auf den Tresen zurückstellte. Abner’s hatte sich offenbar erst kürzlich eine akustische Version von Led Zeppelins Greatest Hits zugelegt, die bereits die ganze Stunde, seit Connie an der Bar lehnte, vor sich hin dudelte. Janine war mal wieder zu spät. Connie beschloss, wenn sie nicht innerhalb der nächsten fünf Minuten durch die Eingangstür marschieren würde, dann standen die Chancen ziemlich gut, dass sie aufstehen und ihren Barhocker an der Jukebox zertrümmern würde. In ihrer Phantasie hob sie bereits das schwere Ding und ließ es über der Glaskuppel der Jukebox nach unten sausen, sie hörte das
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