Das Hexenkloster
geschnitten. Ein reines Wunderwerk der Natur. Eine Frau, die auf ihr Aussehen stolz sein konnte. Aber etwas störte Kelly Turner. Es ging etwas von der Fremden aus, das als Strom bezeichnet werden konnte, und der war nicht eben von positiven Gefühlen durchdrungen.
Kelly hätte von dieser Frau nicht gern umarmt werden mögen. Sie hielt durchaus den Vergleich mit einem Eisblock stand. Bei diesem Gedanken rann es der Gefangenen kalt den Rücken hinab.
Kelly wurde angeschaut. Jetzt, wo sie sich besser auf das Gesicht konzentrieren konnte, stellte sie fest, dass in den Augen der Frau so gut wie kein Gefühl lag. Eine Farbe erkannte sie ebenfalls nichts, nur ein ungewöhnliches Glitzern.
Bisher hatte sie die Neue als eine neutrale Person angesehen. Das änderte sich nun. Die Rothaarige war für sie eine Feindin oder stand ihr zumindest nicht neutral gegenüber.
Und sie dachte an die Hexen, von denen Marnie Steel erzählt hatte. Sie erinnerte sich auch daran, von einer Anführerin gehört zu haben. Wenn das stimmte, konnte es nur diese Person sein, denn sie besaß das Charisma, um eine derartige Position einzunehmen.
Aber woher war sie gekommen?
Genau darüber grübelte die Gefangene nach. Eine Antwort konnte sie sich nicht geben. Sie hatte nichts gesehen. Sie war weder von der Seite her gekommen, und auch hinter ihrem Rücken war nichts aufgeklungen. Sie war einfach da gewesen, und das von einer Sekunde zur anderen. Wie aus der Luft gefallen.
Lange konnte sie dem Blick der Fremden nicht mehr Stand halten. Sie schlug die Augen nieder. Kelly hörte das leise Lachen.
»Was ist los?«, fragte die Fremde.
Kelly Turner schwieg.
»Willst du mich nicht anschauen?«
Nein! dieses Wort formulierte sie nur in Gedanken. Sie wollte es nicht aussprechen.
Kelly zuckte zusammen, als zwei Finger unter ihr Kinn glitten und einen leichten Druck ausübten, sodass sie den Kopf anheben musste.
Jetzt konnte Kelly nicht anders, als die Fremde anzuschauen. Sie war nicht in der Lage, den Blick zu senken, denn sie hatte das Gefühl, von etwas übernommen worden zu sein, das sehr fremd war und sich in ihrem Kopf festgesetzt hatte.
Auge in Auge standen sie sich gegenüber. Das Glitzern in dem anderen Augenpaar irritierte Kelly, aber sie kam davon nicht los. Den Blick konnte sie nicht senken, und das empfand sie als schlimm. Sie sah sich nicht mehr als einen normalen Menschen an, der all das, was er tat, selbst lenkte.
»Du bist schön, sehr schön«, sprach dieser geschwungene Mund aus. »Wie heißt du?«
»Kelly.«
»Wunderbar. Der Name passt zu dir. Und eine Kelly habe ich noch nicht in meinem Reigen.«
Im meinem Reigen?
Kelly freute sich, dass sie in der Lage war, über den genannten Begriff nachzudenken. So sehr hatte sie die andere Person doch noch nicht in der Gewalt.
»Reigen?«, flüsterte sie.
»Ja, Kelly. Hat man dir nicht von mir berichtet?«
»Nein, ja, oder...«
»Ich bin Assunga!« Mehr brauchte die Rothaarige nicht zu sagen. Kelly wusste, was gemeint war.
»Die Hexe?«
»Wenn du es so willst.
Kelly schloss die Augen. Sie wollte nichts mehr sehen, sie wünschte sich weit weg und bekam trotzdem mit, was mit ihr geschah. Die Besucherin machte sich an den Fesseln zu schaffen, was etwas Hoffnung in ihr aufsteigen ließ, die auch nicht enttäuscht wurde, denn die Fesseln fielen tatsächlich.
»In meiner Nähe soll man sich frei bewegen können«, erklärte Assunga. »Das gilt auch für dich, meine Freundin.«
Kelly Turner gab keine Antwort. Sie war zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Ein heißer Strom bewegte sich durch ihre Gelenke, bis in die Finger hinein. Endlich hatte das Blut wieder freie Bahn, durch die Adern zu strömen. Doch das war auch mit Schmerzen verbunden, unter denen die Gefangene zu leiden hatte.
Sie presste die Lippen fest zusammen, holte durch die Nase Luft und spürte in ihrer Kehle ein Kratzen. Als sie schwankte, wurde sie von Assunga festgehalten und vernahm auch deren tröstend klingende Stimme.
»Keine Sorge, es wird dir bald besser gehen. Du bist jetzt frei und wirst es auch bleiben.«
Die Worte vergrößerten Kellys Hoffnung. Deshalb nahm sie all ihren Mut zusammen und flüsterte: »Ich will hier weg! Ich kann nicht länger hier bleiben.«
»Du kommst auch weg, meine Schöne. Da brauchst du dir keine Gedanken zu machen.«
Da war wieder der Hoffnungsfunke. Kelly Turner hob den Kopf an. »Ja, zu mir nach Hause.«
Zwei Sekunden später war die Blase wieder geplatzt. »Nein, du wirst
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