Das Hexenkreuz
Kunst
mit dem Gedanken an die Ewigkeit geschaffen worden war: In Lebensgröße hatte
der Bildhauer die vollendeten Körper nackter Frauen und Männer verewigt, die
sich frivolen Liebesspielen hingaben.
„Wir
befinden uns im Tempel der Venus. Äeneas, ihr Sohn, hat ihn zu Ehren seiner Mutter
vor mehr als drei Jahrtausenden erbaut“, antwortete Beatrice nun.
„Ihr sprecht
von jenem Äeneas von Troja, der einst die Stadt Rom begründete?“
„Eben jener.
Venus, seine Mutter, hat ihn nach dem Fall von Troja sicher nach Italien
geführt. Wie ich sehe, seid Ihr nicht ganz so ungebildet wie ich befürchtet
habe.“
Emilia
zuckte mit den Schultern. Sollte die Hexe doch denken, was sie wollte. Serafina und sie hatten sich für die Geschichte Roms interessiert, da der Sage
nach eine Wölfin die von mitleidlosen Menschen ausgesetzten Zwillingssäuglinge
Romulus und Remus gerettet und gesäugt hatte.
„Warum habt
Ihr mich hierhergebracht? Sicher nicht allein, um mir diese delikaten
Abbildungen zu zeigen?“
„Herrje,
warum immer gleich so schnippisch, Schwiegertochter. Ich habe Euch aus einem
besonderen Grund zu diesem Tempel geführt – weil ich beschlossen habe, Euch eine
letzte Chance zu gewähren, Eure Gesinnung zu ändern.“
„Ach, welche
Gesinnung meint Ihr genau? Jener, dass ich etwas dagegen habe unter Drogen
gesetzt, entführt und verheiratet zu werden oder aber, einen guten Freund
rituell ermorden zu lassen?“
„Ihr habt
noch vergessen anzuführen, dass ich Euch ohne Feder und Tinte eingesperrt habe“,
ergänzte Beatrice süffisant.
Emilia
ignorierte die Bemerkung. Sie war der Spielchen endgültig leid. „Sagt endlich,
was Ihr von mir wollt.“
Diesmal
erfolgte die Antwort ohne Umschweife: „Ich möchte, dass Ihr am
Initiationsritual des Sol Invictus Kultes teilnehmt.“
„Warum zur
Hölle sollte ich das tun? Habe ich Euch nicht bereits unmissverständlich zu
verstehen gegeben, dass ich mit Euren Machenschaften nichts zu tun haben will?
Ich bin die Frau Eures Sohnes, die Herzogin von Pescara, nicht mehr, aber auch
nicht weniger“, sagte sie. Hoch aufgerichtet trotzte sie Beatrice.
Erneut
wartete ihre Schwiegermutter mit einer überraschenden Reaktion auf. Beifällig
neigte sie den Kopf: „Wahrlich, Ihr enttäuscht mich nicht. Mir gefällt Eure
Stärke. Ich habe selten ein solch vitales Geschöpf wie Euch erlebt. Ihr habt
Mut, wisst Euch in schwierigen Situationen zu behaupten und seid wahrhaftig
nicht auf den Mund gefallen. Vor allem seid Ihr nicht dumm, im Gegenteil. Dass
Ihr ein wenig ungebildet seid, ist in Anbetracht der einsamen Gegend, aus der
Ihr stammt, kaum verwunderlich.“
„Wunderbar,
ich danke Euch für Eure Artigkeiten.“ Langsam wurde Emilia unheimlich zumute.
Der Verdacht, dass ihre Schwiegermutter vielleicht noch verrückter war, als es
bisher den Anschein gehabt hatte, stieg in ihr auf. Leichthin sagte sie deshalb:
„Nachdem geklärt ist, dass ich keinesfalls Eurem Invictus-Bund beitrete… Können
wir jetzt zurückreiten?“
„Nein, denn
ich fürchte, Ihr habt keine Wahl, Schwiegertochter. Es steht außer Frage, dass
Ihr dem Sol Invictus Orden beitretet.“
„Ach, und
wie wollt Ihr mich dazu zwingen? Lasst mich raten: Vermutlich wieder mit Hilfe
Eurer Drogen?“, rief Emilia verächtlich.
Beatrice
winkte ab. „Nein, mein Kind. Ich will Euch nicht zwingen, nicht dieses Mal. Im
Gegenteil, ich will Euch überzeugen. Darum sind wir hier.“
Emilias
Wutpegel schnellte nach oben. Hörte diese Frau ihr überhaupt zu? „Wir kommt Ihr
darauf anzunehmen, dass Ihr mich überzeugen könnt?“, empörte sie sich. „Fast
hättet Ihr vor meinen Augen auf barbarischste Weise einen Freund gemordet.
Allein seine Flucht hat ihn vor dem Tod bewahrt.“
„Ach, Ihr
sprecht vom beinahe Schicksal des bedauerlichen Colonna? Ich muss Euch
beipflichten“, entgegnete Beatrice und erklärte dann zu Emilias größter
Verblüffung: „Ich selbst lehne Blutopfer ab. Ich halte sie für unnötig. Sie
mögen gewisse Abläufe ritualisieren, tragen aber rein gar nichts zum
eigentlichen magischen Vorgang bei. Bedauerlicherweise schwören die Mitglieder
meines Ordens darauf. Unter ihnen befinden sich durchaus einige sehr
talentierte Hexer. Trotzdem begreifen sie nicht das wahre Wesen der Magie.“
„Ich
verstehe. Ihr bedauert nicht die Blutopfer, sondern Eure ignoranten Hexer.
Warum lasst Ihr diese Opfer überhaupt zu, wenn Ihr sie nicht für nötig haltet?
Seid Ihr nicht die oberste
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