Das Hexenkreuz
Priesterin Eures Ordens? Warum verbietet Ihr die
Opferrituale dann nicht?“
„So einfach
ist das nicht, meine Liebe. Ich habe den Kult zu einem bestimmten Zweck erneut
ins Leben gerufen. Ihm und seinen Mitgliedern kommt eine besondere Rolle in
meinem großen Plan zu. Aus diesem Grund kann ich mich nicht seinen Jahrtausende
währenden Ritualen verweigern. Die anderen Mitglieder würden es niemals
begreifen.“
„Und ich
begreife nicht, warum es von solcher Wichtigkeit für Euch ist, dass ich Eurem
Sonnen-Kult beitrete. Was könnt Ihr damit gewinnen?“
„Alles!“
Dieses Wort wurde mit sehr viel Überzeugung ausgestoßen und Emilia spürte ein
Durchsacken in der Magengegend. Darum also war sie hier: Sie sollte ihren
Platz in Beatrices großem Plan einnehmen. Beatrice schritt einmal um den
Altar herum, während sie weitersprach: “Euer Beitritt in den Sol- Invictus-Orden
wäre eine reine Formsache. Ihr müsstet lediglich den Intiationsritus über Euch
ergehen lassen. Ich würde dafür sorgen, dass Ihr danach nie mehr belästigt
werdet. Die Hauptsache ist, dass die anderen Mitglieder glauben , dass
Ihr Euch für unsere Sache verwendet. Der Bund ist für mich einzig ein Mittel
zum Zweck. Um das große Ziel zu erreichen, das wir Frauen anstreben, müssen wir
uns zunächst noch der Unterstützung der Männer versichern. Doch die Herren
dieser Welt sind bereits auf dem besten Wege, sich gegenseitig zu vernichten.
Sie sind geschwächt. Nicht mehr lange, dann schlägt die Stunde von uns Frauen.
Das ist auch der Grund, warum ich Euch hierhergebracht habe. Es ist ein
Vertrauensbeweis und gleichzeitig ein Friedensangebot. Ich möchte, dass Ihr
eine Tochter der Venus werdet.“
Emilia hatte
Beatrices Worten mit wachsender Ungläubigkeit gelauscht. „Es mag ja sein“,
antwortete sie vorsichtig, „Dass Ihr mich nicht für ganz dumm haltet. Aber um
der Wahrheit genüge zu tun, habe ich kein Wort von all dem verstanden. Ich soll
also pro forma einem Geheimbund namens Sol Invictus beitreten, um danach eine
Tochter der Venus zu werden?“
Beatrice
antwortete mit einer Gegenfrage: „Wie viel wisst Ihr über den römischen Gott
Sol Invictus?“
Emilia
zuckte mit den Schultern. „Nicht viel…“
„Es ist die
Gottheit der Unbesiegbaren Sonne. Man hat sie im römischen Kaiserreich verehrt,
bis das Christentum diesen Kult im 4. Jahrhundert verdrängt hat. Kaiser
Konstantin, der angeblich das römische Reich dem Christentum zugeführt hat, war
der Oberpriester dieses Kultes. Darum nannte man seine Herrschaft auch das
Sonnenkaiserreich. Was ist Euch über die Anfänge des Christentums bekannt? Ich
vermute ebenfalls wenig - und das, was Ihr darüber glaubt zu wissen, ist
sowieso falsch. Das Christentum war in den ersten drei Jahrhunderten seiner
Verbreitung mitnichten eine patriarchalische Religion. Im Gegenteil, es gab
damals weit mehr Priesterinnen als Priester. Alte Schriften, die sich in meinem
Besitz befinden, beweisen, dass viele der ersten Priesterinnen in den bis heute
verborgenen Katakomben unter der Petruskirche begraben worden sind. Zur Zeit
von Kaiser Konstantin war das Christentum auf dem Vormarsch und eroberte
allmählich das Kaiserreich. Die männlichen Priester witterten ihre Chance, die
alleinige Macht an sich zu reißen. Zu diesem Anlass beriefen sie im Jahre 325
ein Konzil in Nizäa ein, zu der ausschließlich männliche Bischöfe eingeladen
wurden. Die Priesterinnen, die es zu jener Zeit zu Hunderten gab, grenzte man einfach
aus. In Nizäa legten die Männer den Grundstein für das Christentum wie wir es
heute kennen. Ein Grundstein für Macht und Willkür! Die Bischöfe haben die Botschaft
Jesu Christi zensiert, der Glaube wurde zu einer politischen Angelegenheit. Mit
den ursprünglichen Lehren Christi hat die heute verbreitete Glaubensbotschaft wenig
zu tun.“
Emilia
begriff allmählich, worauf Beatrice hinauswollte. Filomena hatte Recht gehabt.
Vermutlich würde ihr gleich die Prophezeiung um die Ohren fliegen. „Ich habe
verstanden, dass die Machenschaften der katholischen Kirche Euch ein Dorn im
Auge sind. Doch wie wollt Ihr an deren Status etwas ändern?“, sagte sie
äußerlich ruhig.
Geradezu ekstatisch
stieß Beatrice hervor: „Indem ich der Kirche nach und nach ihre Macht entziehe,
so lange, bis ihre brüchigen Mauern endgültig einstürzen!“
Emilia lief
es kalt über den Rücken hinab, als sie das Leuchten des Fanatismus in Beatrices
Augen erkannte. „Ich verstehe. Dazu benötigt Ihr
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