Das Hexenkreuz
eintreten hören. Wie lange stand sie schon dort? Wieviel hatte sie mitangehört?
Ihrer unbewegten Miene war nichts zu entnehmen. Hatte Filomena nicht gesagt,
dass Beatrice erst am Abend zurückkehren würde?
„Verschwinde“,
sagte Beatrice grob und winkte Filomena hinaus. Filomenas dunkle Augen sandten
eine letzte Warnung an Emilia, dann huschte sie davon.
„Nun, Schwiegertochter? Wir erfreuen uns weiterhin an der Konspiration?“, sagte sie mokant und
schlenderte durch den Raum. Beiläufig öffnete sie eine kleine emaillierte
Schatulle auf dem Frisiertisch. Sie enthielt einen Satz Schönheitspflästerchen.
Emilia konnte mit derlei Scheußlichkeiten nichts anfangen. Sie fand, dass sie
wie tote Fliegen aussahen.
„Nur ein
kleiner Schwatz unter Freundinnen, Schwiegermutter .“
„Ihr seid
nicht sonderlich subtil, meine Liebe. Wenn ich Euch einen Rat geben darf: Ihr
solltet unbedingt an Eurer Mimik arbeiten. Man kann Eure Gedanken daran
ablesen, als prangten sie in schwarzen Lettern darauf.“ Stirnrunzelnd stupfte
Beatrice mit ihrem zierlichen Satinschuh die Hühnerknochen auf dem Teppich an,
Überreste von Paridis Festschmaus. Emilia zwang sich, nicht zum Bett zu sehen,
unter dem sie Paridi wusste. Beatrice sagte: „Anstatt Euch den Kopf darüber zu
zerbrechen, wie Ihr eine von vorneherein zum Scheitern verurteilte Flucht bewerkstelligen
könnt, solltet Ihr lieber an Euren Tischmanieren arbeiten. Sie lassen sehr zu
wünschen übrig.“
„Woran
anderes soll ein Gefangener denken, wenn nicht daran, wie er seinem Gefängnis
schnellstens entfliehen kann?“, erwiderte Emilia brüsk. „Wenn Ihr nun bitte die
Güte hättet, mir den Brief meines Bruders auszuhändigen? Wir hatten einen
Handel, wie Ihr Euch sicherlich entsinnen könnt“, kam Emilia ohne weitere
Umschweife zur Sache.
„Einen
Handel, den Ihr nicht erfüllt habt!“, gab Beatrice hart zurück.
„Ihr
verdreht die Angelegenheit nach Eurem Belieben. Bin ich nicht erschienen,
bereit, dieses barbarische Ritual über mich ergehen zu lassen? Was habe ich
damit zu schaffen, wenn Ihr Eure Schoßhunde nicht im Griff habt?“, konterte
Emilia unerschrocken.
Beatrice
setzte sich in den Lehnsessel, den kurz zuvor Filomena innegehabt hatte. Mit
spitzen Fingern wählte sie eben jenes Sahnetörtchen aus, das bereits Filomenas
Begehren geweckt hatte. Unbekümmert biss sie hinein.
Emilia
fühlte sich einmal mehr von ihr ignoriert. Sie schickte sich an, ihrer Wut
freien Lauf lassen, als Beatrice ein Kuvert aus den Falten ihres Kleides
zauberte und damit vor ihren Augen wedelte. Gierig griff Emilia danach und zog
sich mit ihm ans Fenster zurück.
Sie war sich
bewusst, dass sie sich nicht allzuviel von diesem Brief erwarten durfte.
Emanuele musste beim Verfassen berücksichtigt haben, dass fremde Augen ihn
ebenfalls lesen würden. Sein Inhalt konnte weder ihrer Situation noch einem
möglichen Fluchtplan Tribut zollen. Doch sie kannte ihren Bruder ebenso gut wie
sich selbst und würde daher auf die leisen Zwischentöne achten.
Geliebte Schwester,
so Gott will, werden diese Zeilen ihr Ziel erreichen. Diese
Hoffnung entspringt meinem tiefsten Herzen. Zunächst möchte ich Dir versichern,
dass wir alle wohlauf unser Ziel erreicht haben. Die Rückreise verlief zwar
nicht ganz nach unseren Wünschen, wie du dir sicherlich vorstellen kannst, doch
am Ende erwarteten uns ein warmes Willkommen und ein heißes Bad. Serafina lässt
Dich ebenfalls auf das Herzlichste grüßen. Sie lässt Dir ausrichten, dass sie
sich den Wundern Roms widmet und sich auf ein baldiges Wiedersehen mit Dir
freut. Sobald es mir die Angelegenheiten meines Ordens erlauben, werde ich Dich
gemeinsam mit unserem Bruder Piero und unserem Vater besuchen. Auch wenn ihn
seine Knochen und das Alter plagen, so werde ich ihn sicherlich dazu bewegen
können, seine alte Burg in diesem Sommer nochmals zu verlassen.“
Emilia ließ
den Brief sinken. Vor Freude traten ihr Tränen in die Augen. Das waren die
allerbesten Neuigkeiten! Gegen den Besuch des kränkelnden alten Grafen, der
seine Tochter vielleicht ein letztes Mal sehen wollte, konnte Beatrice kaum ihr
Veto einlegen. Notfalls würde sie bis zum Bischof gehen, um den Besuch
durchzusetzen. Richtig, der Bischof! Warum hatte sie nicht längst an ihn
gedacht? Sobald der Besuch ihrer Familie fest stand, würde sie den Bischof
ebenfalls dazu einladen. Garantierte seine Anwesenheit nicht den besten Schutz?
Beatrice mochte zwar mächtig sein, doch sie
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