Das Hexenkreuz
eisenbeschlagene Pforte schwang geräuschlos
zur Seite. Der Geruch von kaltem Rauch schlug ihnen entgegen. Filomena
verschloss die Tür von innen und entfachte mehrere Lampen. Emilias Augen erfassten
eine Art Schmiedewerkstatt. Angesichts der umfangreichen Vorsichtsmaßnahmen
hatte sie sich etwas Großartigeres erwartet. Sie entdeckte eine Esse, einen
Amboss und ein merkwürdiges Gebilde aus Eisen, aus dem mehrere Hebel wie lange Finger
ragten. Über einer Werkbank baumelten von einer Stange Gussformen in verschiedenen
Größen herab. Das Holz des Arbeitstisches wies ein großflächiges Muster an
Brandstellen auf, als hätten glühende Gegenstände darauf gelagert. Einzig der edle
Intarsienschrank aus Kirschholz gegenüber der Tür fiel aus dem Rahmen.
Zielstrebig
löste Filomena aus der Mauer neben dem Kamin einen lockeren Stein. Sie fasste
in den Spalt und zog einen weiteren Schlüssel aus dem Geheimfach. Damit ging
sie auf den Schrank zu und steckte ihn in das stirnseitige Ornament einer
vergoldeten Lilie. Sie drehte ihn um und sofort setzte sich ein verborgener
Mechanismus in Gang. Der Schrank schwang zur Seite und gab den Blick auf einen
kaum einen Meter hohen Geheimgang frei. Filomena nahm eine Lampe, bückte sich
und schlüpfte voran. Emilia folgte ihr in den Stollen. Dieser mündete nach wenigen
Metern in ein hohes Gewölbe. Filomenas Licht huschte über den kahlen Boden und
Emilia wurde jäh von einem gewaltigen Leuchten geblendet. Sie glaubte kaum, was
sie sah: Berge von Gold stapelten sich ordentlich aufgeschichtet in Barren vor
ihr. Dazu eine Unzahl weiterer goldener Gegenstände, teilweise mit funkelnden
Edelsteinen besetzt: Pokale, Schalen, ornamentaler Schmuck, massive barbarische
Gürtel, Brustpanzer, goldene Masken, Götzenfiguren…
„Darf ich
vorstellen?“, sagte Filomena beinahe beiläufig, als würde sie jeden Tag Tonnen
von Gold einer interessierten Schar von Besuchern präsentieren: „Der legendäre
Schatz der Inkas. Oder zumindest ein Teil davon.“
Überwältigt
trat Emilia näher und berührte einen massiven Gürtel aus Gold, der rundherum
mit daumennagelgroßen Rubinen besetzt war. „Wie, es gibt noch mehr davon? Aber
woher…?“ flüsterte sie.
„Erinnerst
du dich noch an das Gespräch der beiden Männer, das wir an deinem
Hochzeitsabend belauscht haben? Moñino und Pombal? Sie sprachen tatsächlich von einer Schatzkarte. Und sie hatten Recht. Mutter
hat die Karte vor vielen Jahren den Jesuiten gestohlen. Die haben sie den
Spaniern gestohlen und jene wiederum den Inkas“, erklärte Filomena lapidar.
„Schau“, sie hatte einen Lederbeutel aus einer eisenbeschlagenen Kiste genommen,
die bis oben hin mit ähnlichen Beuteln angefüllt war. Sie öffnete ihn und
schüttete einige glänzende Goldmünzen auf ihre Handfläche. Die Prägung zeigte
den geflügelten Löwen von Venedig. „Venezianische Golddukaten“, sagte sie
stolz. „Aus dem Gold der Inkas gefertigt. Noch nie hat jemand die Fälschung
bemerkt.“
„Wieso
Fälschung? Sie sehen absolut echt aus.“
„Natürlich
sind sie echt, nur eben aus dem geschmolzenen Gold der Inkas gefertigt.“
Emilia ging
ein Licht auf. „Das sind deine Talente? Du gießt und fälschst die Dukaten?“
„Ja, unter
anderem. Die Hexe kann schlecht all diese Schätze so wie sie sind, unter die
Leute bringen.“ Filomena zeigte vage auf das Gold. „Also schafft sie sich
legale Devisen für den Handel.“
„Warum
hilfst du ihr dabei?“
„Was soll
ich sonst tun? Den ganzen Tag herumsitzen? Ich habe Spaß daran, schöne Dinge zu
erschaffen. Sieh her!“ Sie öffnete eine Schmuckschatulle. Darin lagen eine fein
ziselierte Kette aus Gold, dazu passende Ohrringe und mehrere Armbänder. Alles
war mit kleinen rosa Perlen gefasst. Emilia hatte selten eine so meisterhaft
filigrane Arbeit gesehen.
„Aber du
bist ja eine Künstlerin“, hauchte sie beeindruckt.
„Ich weiß“,
erwiderte Filomena unbescheiden. „Ich entwerfe viel Schmuck. Aber ich habe dich
aus einem anderen Grund hierhergeführt. Du musst etwas hinausschmuggeln.“
„Warum ich
und nicht du?“, wunderte sich Emilia.
„Weil ich
schon erwischt worden bin. Ta-Seti hat seitdem den Auftrag mich gründlich zu
durchsuchen, sobald ich meine Werkstatt verlasse. Die Hexe lässt auch für alle
Fälle regelmäßig mein Zimmer auf den Kopf stellen. Bei dir verhält es sich
anders. Ta-Seti ist furchtbar abergläubisch und würde niemals eine Schwangere
berühren.“
„Bekommt
Ta-Seti
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