Das Hexenkreuz
die Tür und Emilia hörte, wie er den Befehl zur Abfahrt
gab. Sofort setzte sich die einfache Reisekutsche in Bewegung. Der Kutscher
trieb sein Gespann zu äußerster Eile an, immer wieder konnte sie die Peitsche
knallen hören. Die Fahrt dauerte drei Tage. Emilia aß und schlief bereitwillig
in der Kutsche, da der Anführer die Rast in einer Herberge als zu gefährlich
erachtete. Angesichts der Tatsache, dass man sie bereits aus dem sicher
geglaubten Palazzo der Colonnas in Rom entführt hatte, begrüßte Emilia jede
Vorsichtsmaßnahme. Einmal, in der ersten Nacht ihrer Flucht, glaubte sie in der
Ferne Schüsse gehört zu haben. Sie rief den Hauptmann zu sich: „Habt Ihr auch
diese Schüsse gehört? Was haben sie zu bedeuten?“
„Nichts,
Herzogin. Es besteht kein Grund zur Beunruhigung. Lediglich ein kleines Scharmützel.
Ich habe einige meiner Leute zurückgelassen, die sich um etwaige Verfolger
kümmern sollten. Ruht Euch aus. Ihr seid sicher.“
Die letzte Etappe ihrer Reise brach an. Die Verfolgten hatten
sich nur zwei Stunden Ruhe gegönnt. Je näher sie ihrem Ziel kamen, umso mehr
schien der Hauptmann seine Männer voranzutreiben. Offenbar lag ihm daran, seine
wertvolle Fracht und die damit verbundene Verantwortung möglichst schnell
loszuwerden. Emilia konnte die Eile nur Recht sein. Nach drei Tagen und zwei Nächten
in der Kutsche sehnte sich nach einem heißen Bad und einem weichen Bett. Wie
als Antwort auf diesen wohligen Gedanken, fühlte sie von innen einen kräftigen
Tritt gegen ihren Leib. Bisher hatten die Strapazen der letzten Tage das Kind
völlig unbeeindruckt gelassen. Munter strampelte es im sicheren Universum
seiner Mutter umher. Seit das Kind sich das erste Mal im Laufe ihrer Flucht auf
diese Weise bemerkbar gemacht hatte, war ihm Emilias Herz zugeflogen. Erst
jetzt begriff sie, dass dieses kleine Wesen in ihr lebte und ihre
Aufmerksamkeit und Liebe einforderte.
Mit jeder
Minute, die sie sich ihrem endgültigen Ziel näherten, wuchs Emilias Nervosität.
Ihre Furcht, dass im letzten Moment etwas eintreten könnte, dass ihr
Wiedersehen mit Francesco Colonna verhindern könnte, ließ sie auf jedes noch so
kleine Geräusch achten. Wider alle Vernunft hatte Emilia gehofft, dass ihr
Francesco ein Stück des Weges entgegenreiten würde. Doch Santorini hatte diese
Hoffnung bei ihrem letzten Halt zunichte gemacht. Das Risiko wäre zu hoch.
Santorini hatte am frühen Morgen einen seiner Männer vorausgeschickt, um das
Terrain auf drohende Gefahren hin zu sondieren. Sie hatten seine Rückkehr in
einem kleinen Pinienwäldchen abgewartet. Selbst im Schutz der hohen Stämme
erlaubte ihr Santorini nur kurz aus der Kutsche zu steigen, damit sie sich ihre
steifen Beine vertreten konnte. Gierig sog sie den balsamischen Duft der Zweige
ein. Unvermittelt trug ihr der Wind den Schwefel Tivolis zu. Ihr Herz machte
einen Satz. Kein Zweifel, sie mussten ihrem Ziel schon ganz nahe sein!
Nach wenigen
Minuten scheuchte der Hauptmann Emilia zurück in die Kutsche. Sie entschädigte
sich, indem sie sein Verbot umging und den Vorhang vorsichtig anhob und
hinausspähte. Die gedrungene Gestalt Santorinis hob sich scharf gegen den
Himmel ab. Mit erhobenem Kopf lauschte er angespannt. Endlich konnten sie den
Hufschlag eines sich rasch annähernden Pferdes vernehmen. Tatsächlich handelte
es sich um den zurückgekehrten Kundschafter. Offenbar gab er Entwarnung.
Santorini schnalzte mit der Zunge und gab das Zeichen zum Aufbruch. Sofort
setzte sich die Kutsche schaukelnd in Bewegung. Kurz darauf erhob sich die
Sonne malvenfarben über den westlichen Sabiner Bergen und zeichnete deren
Umrisse wie einen Scherenschnitt in den klaren Horizont. Endlich verlangsamte
sich die Kutsche und bog auf einen mit Kies bestreuten Weg ein. Eine ganze
Weile ging es aufwärts, dann ein halber Schwenk und die Kutsche hielt. Emilia
selbst hielt nichts mehr. Noch bevor Santorini den Schlag für sie hatte öffnen
können, sprang sie heraus und stürmte mit geschürzten Röcken auf das Haus zu.
In ihrem Eifer endlich Francesco und damit der Freiheit wiederzubegegnen, nahm
sie nichts von ihrer bezaubernden Umgebung wahr: Nicht den herrlichen weißen
Barockpalast, den meisterhaften Springbrunnen davor oder seinen kunstvoll
angelegten Park. Sie interessierte sich einzig für das geschnitzte
Eingangsportal, das sich in diesem Augenblick weit für sie öffnete. Eine hohe
Gestalt schickte sich an, aus dem Schatten der Halle zu treten. Im
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