Das Hexenkreuz
ernährt worden. Das ist ganz schön schlau
eingefädelt“, meinte Emilia beeindruckt.
„Ich weiß.“
IX
Endlich! Heute würde sie ihren Vater und ihren Bruder
Emanuele wiedersehen. Emilia war so aufgeregt, dass sie keine Minute still
sitzen konnte. Um sich bis zum Nachmittag abzulenken, folgte sie ihrer
täglichen Routine. Sie besuchte die Frühmesse und begab sich anschließend in
die Stallungen, um ihr Pferd für den Ausritt vorzubereiten. Solange es ihr
körperlicher Zustand zuließ, wollte sie ihr Tier selbst satteln. Seit die Phase
der Übelkeit vorübergegangen war, fühlte sich Emilia gesünder denn je. Sie
mochte kaum glauben, dass ein kleines Lebewesen in ihr heranwuchs. Tatsächlich
zog sie es vor, den Gedanken daran so gut es ging zu verdrängen.
Ihre kleine
braune Stute begrüßte sie mit einem freudigen Schnauben. Ihre Schwiegermutter
hatte ihr aufgrund ihres gesegneten Zustandes jegliches Traben oder Galopp
verboten. Der tägliche Ausritt auf der braven Stute glich dadurch einem
gemütlichen Dahinschaukeln. Trotzdem genoss Emilia ihre Ausflüge. An diesem
besonderen Tag strahlte die Sonne wie eine große gelbe Blume von einem
azurblauen Himmel. Emilia fühlte sich jung und lebendig. Es fehlte nicht viel
und sie hätte ihrem Pferd die Sporen gegeben. Nach einer halben Stunde
gemächlichen Rittes erreichten sie einen kleinen Apfelhain. Er war noch nicht
abgeerntet und pralle Früchte beschwerten die Äste. Emilia, die nun ständig an
Hunger litt, gelüstete nach einem. Sie befahl dem Hauptmann, ihr einen zu
pflücken. Missmutig stieg er vom Pferd und entledigte sich ohne Eile seines
Auftrages. Er saß wieder auf, ritt heran und übergab ihr den Apfel. Wie alle
Männer der Herzogin war er groß und kräftig und von einnehmendem Äußeren -
vorausgesetzt er würde nicht ständig eine Miene ziehen, als hätte man ihm soeben
sein Pferd unter dem Allerwertesten weggestohlen.
Emilia
streckte die Hand nach dem Apfel aus. Gleichzeitig erfüllte ein merkwürdiges
Sirren die Luft. Ein jäher Ruck ging durch den Körper des Hauptmanns und der
Apfel entglitt ihm. Seine Augen weiteten sich ungläubig, als versuchte er noch,
das Geschehen zu begreifen. Schon glitt er quälend langsam von seinem Pferd und
prallte wie ein Sack auf den Boden. Zwischen seinen Schulterblättern steckte
ein gefiederter Pfeil.
Überall um
Emilia herum geschah das Unfassbare. Männer glitten lautlos zu Boden, von einem
oder gleich mehreren Pfeilen niedergestreckt. All dies spielte sich innerhalb
weniger Sekunden ab. Emilia glaubte sich in einem bösen Traum gefangen. An
Flucht dachte sie nicht. Sie erwartete jeden Moment selbst von einem Pfeil
getroffen zu werden. Plötzlich spürte sie eine Hand an ihrem Ellbogen.
„Herzogin Emilia?“, sprach sie eine Stimme an. „Bitte erschreckt Euch nicht. Ich
bin Hauptmann Santorini. Principe Colonna schickt mich. Schnell, folgt uns
bitte. Wir halten eine Kutsche für Euch bereit.“ Die bloße Erwähnung von
Francescos Namen genügte. Er wirkte wie ein Zauberschlüssel auf Emilia und
löste sie aus ihrer Erstarrung. „Und mein Pferd?“ Sie hatte die kleine Stute
lieb gewonnen.
„Ich
bedauere, aber Ihr müsst es hier lassen. Nichts darf auf Euch hinweisen. Euer
Pferd könnte erkannt werden.“ Er wandte sich an seine Männer, die nun von
überall her aus dem Schatten des Hains auftauchten. „Ihr wisst, was Ihr zu tun
habt.“ Schon sammelten sie die Leichen ein und führten die Pferde der Opfer am
Zügel fort.
„Aber was
ist mit meinem Bruder und meinem Vater? Sie werden heute in Sulmona erwartet“,
wandte Emilia weiter ein.
„Ein
Ablenkungsmanöver. Sie werden die Herzogin beschuldigen, dass sie ihnen den
Besuch verweigert. Dann werden sie mit den Worten abziehen, sich in Rom zu
beschweren und sich anschließend zum vereinbarten Treffpunkt begeben - wo Ihr,
verehrte Herzogin, sie mit dem Principe Colonna erwarten werdet. Kommt Ihr?
Eile tut Not.“ Er reichte ihr die behandschuhte Hand.
Ohne
weiteres Zögern ließ sich Emilia von dem Anführer zur Kutsche geleiten, die
ungefähr hundert Meter entfernt im Schatten der Bäume auf sie wartete. Der Mann
half ihr beim Einsteigen. Bevor er die Türe schließen konnte, erkundigte sich
Emilia noch: „Sagt, Hauptmann, wohin bringt Ihr mich?“
„Nach
Tivoli, Herzogin. Der Principe verfügt dort über die Villa eines Freundes.
Niemand wird Euch dort vermuten. Rasch jetzt, wir sollten keine unnötige Zeit
verlieren.“ Er schloss
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