Das Hexenkreuz
berichtet, wie
sehr Ihr Morgane zugetan seid. Habt Ihr sie nicht jeden Tag besucht? Doch seid
ohne Furcht. Zenga wird den Tiger aufspüren. Die beiden kennen sich seit vielen
Jahren. Er ist so etwas wie Vater und Mutter in einem für sie. Morgane war nur
wenige Monate alt, als sie zu uns kam. Das Tier hat keine Ahnung von der Welt
da draußen und sie ist es gewohnt, dass sie gefüttert wird. Sie hat das Jagen
nie gelernt. Ich fürchte, jene Person, die ihr zur Freiheit verholfen hat, hat
Morgane damit keinen Dienst erwiesen. Ich vermute, dass sie, sobald sie ein
wenig die raue und unwirtliche Luft der Freiheit gekostet hat, freiwillig in
ihr Zuhause zurückkehren wird.“
Emilia
begnügte sich mit einem zustimmenden Nicken. Ohne Frage wusste der Graf, dass
er ihr diesen Streich zu verdanken hatte. Es war ihr egal. Sie fand es
endgültig an der Zeit, den Stier bei den Hörnern zu packen. „Wo wart Ihr? Und
was habt Ihr so lange getrieben? Weiter Eure kleinen Intrigen gesponnen?“,
eröffnete sie ohne Umschweife das Gefecht. Conradin, der ihnen soeben frische
Austern servierte, ließ ein leises Hüsteln hören.
Der Graf
beträufelte seine Auster mit einigen Spritzern Zitrone und schlürfte sie mit
zurückgelegtem Kopf. „Diese Austern sind ein Genuss“, schwärmte er. „Erst vor wenigen
Stunden hat man sie aus dem Meer gefischt. Ihr Geschmack zergeht einem auf der
Zunge. Seid Ihr sicher, dass Ihr keine versuchen wollt?“
Emilia zog
eine angewiderte Grimasse: „Das ist wie Schnecken essen, danke. Ihr könnt gerne
meine haben.“ Sie schob ihm ihren Teller hinüber. „Schluss jetzt mit den
Ausflüchten, Graf. Ihr wollt mir sicher nicht weismachen, dass Ihr verreist
seid, um neue Ware zu kaufen. Was habt Ihr wirklich gemacht? Ränke gegen meinen
Gatten geschmiedet?“
„Warum
interessiert Euch das? Ihr werdet doch nicht etwa Gefallen an Eurem schönen
Gemahl gefunden haben?“ Eine zweite Auster folgte der ersten.
„Was mich
interessiert, ist vor allem meine Freiheit “, entgegnete Emilia impulsiv.
„Was habt Ihr also vor? Denn ich nehme Euch nicht mehr ab, dass es Euch allein
darum geht, Beatrice mit meinem Kind zu erpressen. Eure Absichten gehen darüber
hinaus!“
Der Graf
stellte den Becher mit Wein langsam zurück. Dann meinte er lässig: „Ach, und
was sollen das genau für Absichten sein, die Ihr mir da unterstellt?“
„Oh, nein,
so geht das nicht!“ Emilia gestattete sich ein spöttisches Lächeln. „Ich stelle
Euch doch nicht Fragen, damit ich sie mir dann selbst beantworte!“
Bramante sah
sie wohlwollend an: „Ihr habt an Sicherheit gewonnen, das gefällt mir. Wenn man
sich vorstellt, woher Ihr ursprünglich stammt… Es stimmt, was man sagt:
Letztendlich setzt sich immer das edle Blut durch.“
„Erspart mir
Euer Geschwafel und beantwortet meine Frage!“
„Also gut,
sei es. Ihr habt Recht. Ich habe diese Reise unternommen, um die Ermordung
Eures Gatten zu veranlassen.“
Obwohl sie
es längst geahnt hatte, war es doch etwas anderes, es ausgesprochen zu hören.
Doch Emilia versagte sich jede Gefühlsregung.
„Ihr scheint
darüber nicht sonderlich schockiert zu sein“, meinte Bramante. Er hatte sie
nicht aus den Augen gelassen.
„Es
bestätigt nur meine Vermutungen. Ist mein Gatte tot?“
„Nein,
bedauerlicherweise ist der Versuch fehlgeschlagen. Er wird von seinen Männern
gut bewacht. Doch niemand ist auf ewig unverwundbar. Seid ehrlich: Würdet Ihr
den Tod Herzog Carlos bedauern?“
„Selbstverständlich!
Ich wünsche niemandem den Tod.“
„Selbst
nicht, wenn Ihr dann frei wäret? Eine freie Witwe mit einem großen Namen und
einem großen Vermögen, frei zu gehen, wohin Ihr wollt?“
„Ach, und
Ihr wollt mir dazu völlig uneigennützig verhelfen? Davon abgesehen, dass Ihr
mir zu verstehen gegeben habt, mich selbst heiraten zu wollen. Ich würde
lediglich eine Fessel gegen die andere tauschen“, erwiderte Emilia mit vor
Sarkasmus triefender Stimme.
„Ich
verstehe Eure Ressentiments. Ihr habt Recht. In dieser Welt gibt es nichts
umsonst. Doch das, was ich Euch anbiete, wäre auch zu Eurem Vorteil - zumal ich
Waise bin und Ihr dadurch mit keiner zänkischen Schwiegermutter belästigt
werdet.“ Graf Bramante lächelte sardonisch.
„Und wenn
ich hundert Jahre darüber nachdächte, mir würde kein einziger Vorteil
einfallen, den ich durch Euch gewinnen könnte.“
„Nicht doch,
wenn Ihr mich heiratet, werden wir gemeinsam über Italien herrschen. Euer
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