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Das Hexenkreuz

Das Hexenkreuz

Titel: Das Hexenkreuz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanni Muenzer
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unangenehm feucht am Körper und ihre schweren
Brüste schmerzten von der Milch, die ihr eingeschossen war. Vorsichtig, die
Hände schützend um ihren gespannten Leib gelegt, tapste sie zur Tür. Sie
schwang den einen Flügel zur Seite, doch den vermeintlichen Wachposten suchte
sie vergeblich. Der gesamte Korridor lag leer vor ihr.
    Erst jetzt
wurde sie der unnatürlichen Stille gewahr, die ihr aus dem Haus entgegenschlug.
War das Fest schon zu Ende? fragte sie sich verwundert. Üblicherweise dauerten die
feuchtfröhlichen Gelage des Grafen bis in die frühen Morgenstunden an. Ein
Blick aus dem Fenster ihres Gemachs hatte ihr jedoch angezeigt, dass es noch
tief in der Nacht sein musste. Warum fehlten die vertrauten Geräusche, die
stets die Tätigkeiten der vielköpfigen Dienerschar des Hauses begleiteten? Die
Stille ergab keinen Sinn. Sie überbrückte die wenigen Schritte, die sie von der
steinernen Balustrade trennten und klammerte sich an ihr fest. Die
Eingangshalle lag zwei Treppen unter ihr. Mehr und mehr empfand sie die Stille
des Hauses als bedrohlich. Trotz ihres Zustandes reifte der Gedanke an Flucht
in ihr heran. Vorsichtig tastete sie sich an der Balustrade in Richtung der
Treppe voran, als eine weitere Wehe sie am Rande der ersten Stufe niederzwang.
Der überwältigende Schmerz ließ ihre Beine einknicken und sie sank zu Boden.
Instinktiv rollte sie sich von der Treppe weg. Schwer atmend wartete sie das
Ende der Wehe ab. Nach jeder Attacke fühlte sie sich wie im luftleeren Auge
eines Orkans, bis die nächste Wehe sie erneut aus dessen Zentrum katapultierte.
Das Kind in ihr regte sich. Selbst wenn sie es in ihrem Zustand schaffen würde,
die Treppe zu bewältigen, wäre das Risiko dennoch zu groß, hinabzustürzen. Sie
rief nochmals um Hilfe, doch im Haus rührte sich weiterhin kein Laut. Verlassen
lag es im Dunkeln, als hätte ein Ungeheuer alle seine Bewohner verschlungen. Da
niemand kam, um ihr beizustehen, musste sie sich eben selbst helfen. Hatten im
Laufe der Jahrtausende nicht unzählige Frauen ihre Kinder ohne jeden Beistand
zur Welt gebracht? Sie schleppte sich zurück in ihr Bett und schaffte es vor
dem nächsten Ansturm, die feuchten Laken wegzuziehen und das Bett mit einigen
Roben und Mänteln zu bedecken, die sie zu diesem Zweck wahllos aus der
angrenzenden Kleiderkammer gezerrt hatte. Erschöpft ließ sie sich dann auf das
improvisierte Geburtslager niedersinken, bereit, sich der nächsten Schmerzwelle
auszuliefern. Eine Wehe nach der anderen schüttelte ihren Körper und zehrte an ihren
Kräften. Doch Gott war ihr gnädig und das Kind kam im ersten Licht des neuen
Tages. Mit den Zähnen, wie es die Bäuerinnen in abgelegenen Winkeln der
Abruzzen taten, durchtrennte sie die Nabelschnur. Überglücklich hielt sie dann
das verschmierte kleine Bündel im Arm und drückte ihren Sohn, denn es war ein
Sohn! an ihr Herz. Plötzlich stutzte sie. Irgendetwas stimmte nicht mit ihrem
Kind. Der Schock traf sie wie eine Kugel aus Eis: Es schrie nicht! Während sie
verzweifelt überlegte, was zu tun war, tauchte plötzlich eine blutverschmierte
Frau in der Tür auf. Mit irre flackerndem Blick suchte sie den Raum ab und entdeckte
die junge Mutter mit ihrem Kind. "Er gehört mir!", schrie die Frau
und stürzte sich auf Emilia.
    Bestürzt erkannte
Emilia erst jetzt die Herzoginmutter Beatrice in ihr. Wie kam sie in diesem
Zustand hierher? Geistesgegenwärtig schaffte es Emilia eben noch, ihr Kind halb
unter einen Mantel zu schieben, als sich Beatrice mit einem wilden Schrei auf
sie warf. Die eben erfolgte Geburt und der Blutverlust hatten Emilia alles
abverlangt, trotzdem kämpfte sie wie eine Löwin. Sie rollte mit der sich wie
verrückt gebärdenden Frau vom Bett. Der Aufprall auf dem harten Marmorboden
presste ihr die Luft aus den Lungen, doch er befreite sie immerhin kurz von
Beatrices Gewicht. Beide Frauen kamen nur mühsam wieder auf die Beine. Beatrice
schien selbst schwer angeschlagen zu sein und keuchte wie ein Blasebalg. Sie
hob die Rechte, mit der sie einen langen Dolch umklammerte. Emilia wich langsam
zurück, doch nur, um sich zwischen Beatrice und das Bett zu schieben, in dem
ihr Kind verborgen lag. Noch immer gab es keinen Laut von sich. Verzweifelt
dachte Emilia, dass sie die Gefahr schnell abwenden musste, ansonsten würde ihr
Sohn noch in der Stunde seiner Geburt sterben.
    Beatrice
griff an. Furchtbare Entschlossenheit zeichnete ihre verwüsteten Züge. Emilia
wich ihr aus, strauchelte

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