Das Hexenkreuz
mochte kaum glauben, dass dieser große starke Mann in dessen riesigen
Händen die Geige wie ein Spielzeug anmutete, seinem Instrument derart
wunderbare Töne entlocken konnte.
„Das war
wunderbar“, seufzte Emilia, als Sergej nach einer Stunde die Geige absetzte.
Sie unterhielten sich noch eine ganze Weile angeregt, dann wurde es Zeit zum
Abendessen. Die Amme holte Ludovico ab, um ihn zu füttern und dann ins Bett zu
bringen. Dies ging wie immer nicht ohne Geschrei ab. Erst als Sascha sagte, sie
würde ihn begleiten, geruhte der kleine Herr sein Gebrüll einzustellen. Emilia
lud Sergej daraufhin spontan ein, zum Abendessen zu bleiben.
Sergej
erzählte ihr bei Tisch anschaulich von seiner Heimat, der Größe seiner Flüsse
und Seen, der Steppen und Eiswüsten, aber auch von der Zarin Katharina und den
Wundern von Moskau und seiner Paläste mit den vergoldeten Kuppeln. Emilia
lauschte ihm hingerissen. Sie bemerkten nicht, wie spät es geworden war, bis
Serafina hüstelnd in der Tür stand und verkündete, Sascha würde friedlich das
Bett mit Ludovico teilen und sie selbst würde sich nun ebenfalls zur Ruhe
begeben. Das war das Zeichen für Sergej, aufzuspringen und sich ebenfalls zu
verabschieden. Serafina ging die kleine Sascha holen und kehrte mit ihr auf dem
Arm zurück. Die Kleine schlief tief und fest. In der Halle überreichte sie
Sascha dem Diener, der Sergej hierher begleitet hatte.
Sergej trat
zu Emilia und wirkte mit einem Mal verlegen. Er zog einen Umschlag aus seiner
Jacke und überreichte ihn wortlos. Fragend sah sie zu ihm auf. „Ein Brief? Für
mich? Aber warum…?
„Er ist
nicht von mir. Er ist von Pater Colonna an Euch. Er bat mich, ihn Euch heute
Abend auszuhändigen. Ich hoffe, Ihr könnt ihm und auch mir verzeihen.“ Mit
diesen rätselhaften Worten nahm er seine kleine Tochter aus den Armen seines
Dieners entgegen und schritt rasch in die dunkle Nacht hinaus.
Emilia blieb
wie vom Donner gerührt zurück. Sie starrte auf den Umschlag. In schwungvollen
Lettern prangte darauf:
´ Für
Emilia `.
Sie brannte
darauf, ihn an Ort und Stelle zu lesen. Gleichzeitig fürchtete sie sich vor dem
Inhalt. Die Ahnung von künftigem Schmerz schnürte ihr die Brust zusammen. Wenn
Francesco seinen Freund bat, ihr einen Brief zu übergeben, dann konnte dies
nichts Gutes bedeuten. Serafina war da und legte ihr den Arm um die Schultern.
„Komm, gehen wir nach oben.“
„Soll ich
noch bleiben?“, fragte sie dann, während ihre Augen bedeutungsvoll auf dem
Brief ruhten.
„Nein, es
ist gut. Geh schlafen.“
Emilia legte
den Umschlag auf dem Tisch ab und machte zunächst mit zittrigen Händen Toilette.
Schließlich gab es nichts mehr zu tun. Sie nahm den Brief und setzte sich zum
Lesen in den Sessel vor dem Kamin. Fahrig riss sie ihn auf und las die wenigen
Zeilen:
Liebste Freundin,
unsere
letzte Unterhaltung hat mir gezeigt, dass diese Stadt zu klein für uns beide
ist. Ich überlasse sie daher Euch.
Verzeiht
mir, dass ich meiner Bestimmung folgen muss. Ihr seid jung, versucht glücklich
zu werden!
Francesco
Wütend zerknüllte Emilia den Brief und warf ihn in das
brennende Feuer - nur um sich sofort hinterherzustürzen und ihn wieder
herauszufischen. Sie verbrannte sich dabei die Finger, ohne es überhaupt zu
bemerken. Die Ränder des Pergaments glühten bereits und sie schwenkte das
Papier hastig hin und her. Dann drückte sie die kostbaren Buchstaben, die seine
Hand geformt hatten, an ihr Herz. Sie hatte sehr wohl begriffen, was sie eigentlich
zu bedeuten hatten: Francesco suchte sein Heil in der Flucht! Das aber konnte
nur eines bedeuten: Er fürchtete sich davor, ihr letztendlich zu erliegen.
Deutlicher hätte er es nicht ausdrücken können.
Ihr Blick
suchte unwillkürlich den unscheinbaren Flakon auf ihrem Frisiertisch. Filomena
hatte ihn ihr vor einigen Tagen aufgedrängt. Der Gedanke an das begleitende Gespräch
mit ihrer Freundin entlockte ihr ein kleines Lächeln. Wieder einmal hatte
Filomena sie mit ihrer frivolen Art schockiert. „Hier, ich habe dir etwas
mitgebracht“, hatte sie gesagt und ihr den Flakon hin gestreckt.
„Wie? Du
bringst mir Parfüm mit?“
„Nicht doch.
Sieh ihn dir genauer an.“
Emilia nahm
den Flakon, drehte ihn in ihrer Hand und begriff: „Warum bringst du mir einen
Liebestrank?“, fragte sie verdattert.
„Weil ich
denke, dass du ihn nötig hast.“
„Wozu? Falls
es dir entgangen sein sollte, ich lebe allein.“
„Eben. Du
kannst ihn trinken
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