Das Hexenkreuz
gewesen wäre, wäre ich zuhause geblieben, bei meiner Familie. Dann wären
sie vielleicht noch am Leben.“
„Erwähnte
Pater Colonna gestern nicht, Ihr wärt ein russischer Feldmarschall? Hättet Ihr
denn die Wahl gehabt, Eure Pflichten zu verweigern?“
Der Russe
sah zu seiner Tochter, wie um sich zu vergewissern, dass wenigstens sie auf
dieser Welt ihm geblieben war. Dann seufzte er vernehmlich. „Nein. Vielleicht
ist es gerade das, was mir am meisten daran zu schaffen macht.“
„Wie meint
Ihr das? Wollt Ihr es mir erklären?“, fragte Emilia, von Mitleid erfüllt.
Sergej hielt
den Kopf beharrlich gesenkt. Leise sagte er: „Ich weiß nicht, wie ich es Euch
verständlich machen kann. Seht, das Leben hat mir bereits viel Freude und Glück
geschenkt. Ich wurde hoch geboren, machte rasch und glänzend Karriere und wurde
der jüngste Feldmarschall Russlands. Als Alexandra, meine wunderbare Frau, in
mein Leben trat, schien mein Glück vollkommen. Sie gebar mir drei schöne,
gesunde Kinder, zwei Söhne und die kleine Sascha. Dann musste ich in den Krieg
ziehen und lernte das Soldatendasein von seiner schlimmsten Seite kennen: Grausamkeit
und Verderbtheit, Schmutz und Qualen, den Tod. Ich habe viele Feinde getötet.
Besudelt mit dem Blut der Toten habe ich die wilde Freude ausgekostet, am Leben
zu sein, habe mit meinen Kameraden gefeiert und getrunken, während Zuhause der
Tod ebenfalls reiche Ernte in meiner Familie hielt. Seitdem frage ich mich
jeden Tag, warum Gott mir so viel Glück geschenkt hat, nur um es mir dann
wieder zu nehmen? Habe ich mich schuldig gemacht? Aber wessen? Warum straft
Gott meine Familie und zeichnet die kleine unschuldige Sascha für ihr Leben?“
Er hatte leise, aber bewegt gesprochen und dabei die ganze Zeit über Emilias
Hand gehalten. „Nun kennt Ihr meine Geschichte. Hoffentlich haltet Ihr mich
jetzt nicht für schwach, da ich mit meinem Schicksal hadere und Gottes
Entscheidungen anzweifele. Aber seitdem frage ich mich, ob Gott tatsächlich so
unfehlbar ist, wie man uns glauben zu machen versucht.“
Emilia
antwortete nicht sofort. Sergej deutete ihr Schweigen falsch und meinte:
„Verzeiht mir, ich wollte Euch nicht schockieren. Vergesst, was ich gesagt
habe.“
„Nein, Ihr
müsst Euch nicht entschuldigen. Ich bin keinesfalls schockiert. Im Gegenteil.
Auch ich habe mir Fragen dieser Art gestellt, ob es ein vorbestimmtes Schicksal
gibt. Seht, bei meiner Geburt wurde ich Gegenstand einer Prophezeiung. Wusstet
Ihr davon?“
„Ja. Pater
Francesco hat es mir gegenüber erwähnt.“
„Er und mein
Bruder Emanuele befürchten inzwischen, dass damit der Orden der Jesuiten
gemeint sein könnte, deren Niedergang tatsächlich begonnen hat. Doch ich selbst
habe rein nichts dazu beigetragen und ich habe auch nicht vor, jemals
irgendeinen Anteil daran zu nehmen. Trotzdem hat diese Prophezeiung bereits in
mein Schicksal eingegriffen. Feinde der Jesuiten haben versucht, mich für ihre
Zwecke einzuspannen. Es ist ihnen nicht gelungen, trotzdem schwebt dieses
Damoklesschwert weiter über mir. So wie Ihr Euch fragt, inwieweit Ihr Euer
Schicksal verdient habt, frage ich mich, wie ich ihm entkommen kann.“
Sergej
forschte lange in ihrem Gesicht. Sein Gesicht, eben noch von Kummer und Schmerz
gezeichnet, entspannte sich leicht und ein warmes Leuchten trat in seine Augen.
Weich sagte er: „Wer weiß? Vielleicht sollten sich unsere beiden Schicksale in
Rom kreuzen?“ Er glitt vom Sofa und kniete sich vor sie. „Emilia von Pescara,
wollt Ihr mich, Sergej Iwanowitsch Wukolny, zu Eurem Gemahl nehmen?“
Zu
verblüfft, um sofort zu reagieren, flüchtete sich Emilia in ein perlendes
Lachen. „Ihr seid wirklich drollig, Fürst Sergej, und ich fühle mich ehrlich
geschmeichelt. Dabei kennt Ihr mich kaum vierundzwanzig Stunden!“
„Lange
genug, um mich unsterblich in Euch zu verlieben“, erwiderte er
leidenschaftlich. Emilia berührte der Blick, mit dem der Russe sie umfing, mehr
als seine Worte es taten. Sie las in ihm Aufrichtigkeit und Wahrhaftigkeit.
Sergej war ein guter Mann.
„Ich sehe“,
fuhr der Fürst fort, „Ich werde heute wohl keine Antwort erhalten. Aber macht
Euch darauf gefasst, schönste Dame, dass ich Euch von nun an täglich fragen
werde.“ Er stand auf. „Francesco hat mir verraten, dass Ihr Musik liebt. Lasst
mich Euch etwas vorspielen.“ Er griff zu seiner Geige und alsbald wurde der
Raum von der herrlichsten Musik erfüllt. Emilia lauschte ihm voller Staunen.
Sie
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