Das Hexenkreuz
Kunde,
dass es keine Überlebenden gibt, wurde erst jetzt durch einen französischen Kapitän
überbracht.“
„Ist diese Information
absolut sicher? Es ist kein Irrtum möglich?“, klammerte sich Emilia an diese
Hoffnung.
„Ich fürchte
nein“, erwiderte Emanuele. „In der Nachricht stand, dass neben Trümmerteilen
auch viele Tote an der karibischen Küste bei La Trinité angespült worden seien,
darunter der Kapitän. Man hat ihn einwandfrei identifizieren können. Laut den
Menschen vor Ort war dies der schlimmste tropische Wirbelsturm seit
Jahrzehnten. Niemand hätte diese Katastrophe überleben können.“
Die kommenden Wochen versanken in Düsternis und Trauer. Es
war wie das Erlöschen der Zeit. Alles Licht und Leben schien aus dem Palazzo
Meraviglia gewichen. Selbst der kleine Ludovico spürte die gedrückte
Atmosphäre. Er verhielt sich stiller als sonst und wich seiner Mutter kaum von
der Seite. Auf seinen kleinen dicken Beinchen folgte er ihr auf Schritt und
Tritt, schlang die Ärmchen um sie und seufzte ein ums andere Mal: „Mama
traurig.“ Emilia wiegte ihn dann, legte ihr Kinn auf sein dichtes schwarzes
Haar und fand Trost durch die Nähe ihres Kindes. Lange hatte sie nicht
begreifen wollen, dass Francesco tot sein sollte. Niemals hätte sie gedacht,
dass er sterben könnte – so kraftvoll, stark und unverwüstlich war er ihr
erschienen.
Emilia haderte mit der Ungerechtigkeit des Schicksals und
stritt mit Emanuele bei seinen seltenen Besuchen über die Ungerechtigkeit
Gottes. Nach allem was Francesco in jungen Jahren hatte erdulden müssen, der
hundert Mal an dem hätte sterben können, was Beatrice ihm angetan hatte, wie
konnte ein gerechter Gott Francesco dann derart sinnlos aus dem Leben reißen?
Emanuele litt unter Emilias Ausbrüchen. Doch er wusste seit dem frühen Tod
ihrer Mutter, dass es ihre Form der Trauer war. Doch seine Besuche im Palazzo
Meraviglia blieben rar. Er wurde völlig von seinen Pflichten eingenommen.
Selbstverständlich waren Serafina und Filomena für sie da, doch ihre Freundinnen
gingen in ihrem Vorhaben auf, möglichst bald die Mädchenschule zu eröffnen. Sie
entwarfen Pläne, holten Genehmigungen ein und dirigierten eine Schar von
Arbeitern und Handwerkern. Dafür stattete ihr Francescos Schwester Vittoria
häufige Besuche ab. Sie hatte ihre geplante Hochzeit auf das nächste Frühjahr verschoben.
Sie kam, um mit Emilia stundenlang über ihren Bruder zu sprechen. So erfuhr
Emilia durch Vittorias Erzählungen mehr über Francesco als zu dessen Lebzeiten.
In dieser schweren Zeit avancierte Francescos Freund, Fürst
Sergej, zu Emilias großer Stütze. Er schaute beinahe jeden Tag bei ihr vorbei
und meist brachte er seine kleine Tochter Sascha mit. Sie war ein liebenswertes
und fröhliches Kind und Ludovico von Herzen zugetan. Stundenlang lagen die
beiden auf dem Bauch vor dem Kamin und unterhielten sich in einer ganz eigenen
Sprache miteinander, die kein Erwachsener verstand. Sergej suchte Emilia mit
verrückten Einfällen zu zerstreuen. Er schleppte wundersam skurrile Dinge an,
wie mechanisches Spielzeug, Spielmänner, die mit Flöten Melodien erzeugten oder
Soldaten, die marschierten und auf ihre Trommeln schlugen. Sergej schien eine
seltsame Vorliebe für diese Art von modernem Spielzeug zu haben, wie ihn
überhaupt alles Technische zu faszinieren wusste. Seine neueste Errungenschaft
bestand aus einem riesigen Ungetüm aus spiegelndem Kupfer, das auf vier
Klauenfüßen ruhte und sich als moderne, russische Teezubereitungsmaschine, ein
Samowar, entpuppte. Ein anderes Mal überraschte er sie mit einem fantastischen
Mantel aus weißem Zobel, dessen Fell sich weich wie Seide an ihre Haut
schmiegte. Auch der wuschelige Welpe, ein Bolonka Zwetna, was ´buntes
Schoßhündchen` bedeutete, der Lieblingshund der Zarin, hatte durch ihn Einzug
gehalten. Ludovico, dessen Wortschatz im Alter von kaum zwei Jahren noch
beschränkt war, hatte sich entzückt auf den kleinen Hund gestürzt und auf den
Namen Cibo getauft. Mit den beiden riesigen Doggen Castor und Pollux gaben die
vier ein pittoreskes Bild ab, wenn sie durch die Villa tobten. Immer hatte
Sergej dann auch seine Geige dabei, eine Stradivarius, die sein Vater einst in
Cremona hatte bauen lassen. Dann rührte er sie mit seinen herzzerreißenden
russischen Weisen zu Tränen. Manchmal aber konnte er ihr auch ein winziges Lächeln
entlocken. Er wurde ihr zu einem treuen und unersetzlichen Freund. Doch seit
der Nachricht
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