Das Hexenkreuz
von Francescos Tod bat Sergej Emilia nie mehr wieder darum, seine
Frau zu werden.
Zwei Monate später brach die nächste Katastrophe über Emilia herein:
Ihr Sohn Ludovico erkrankte schwer. Es kam ganz plötzlich, quasi über Nacht. Es
hatte mit ein wenig Fieber und einer leichten Rachenentzündung begonnen.
Serafina hatte ihn mit einem Kräuterabsud und Umschlägen aus Kampfer behandelt.
Zunächst schien auch eine Besserung eingetreten zu sein, doch dann verschlimmerte
sich Ludovicos Zustand rapide. Der kleine Mann bekam Schüttelfrost, musste sich
mehrmals heftig erbrechen und der Rachen zeigte sich nun tiefrot.
Voller Sorge
standen Emilia und Serafina vor seinem Bett. „Ich verstehe das einfach nicht.
Es ging ihm doch bereits besser.“ In Emilias Stimme mischten sich erste
Anzeichen von Panik. Serafina beugte sich über Ludovico, um ihm ungefähr zum
zehnten Mal innerhalb der letzten halben Stunde in den Mund zu sehen. „Ich
fürchte, er leidet an Scarlatina“, sagte sie dann vorsichtig.
„Scarlatina?
Er hat das Scharlachfieber?“ Die Panik hatte sich endgültig Emilias bemächtigt.
Sie wusste, dass die Krankheit in vielen Fällen tödlich verlief und besonders
häufig unter kleinen Kindern.
„Ich werde
alles tun, was ich vermag, Emilia. Es gibt Hoffnung. Unser Kleiner ist stark
und er ist ein Kämpfer. Aber ich wünschte, Mutter wäre hier“, seufzte Serafina.
„Ich habe miterlebt, wie sie an Scharlach erkrankte Kinder geheilt hat. Sie hat
gewisse Kräuter vorrätig, die helfen, das Fieber zu senken. Und natürlich ist sie
mir an Erfahrung weit voraus.“
Emilias
Augen, in denen bei der Erwähnung von Serafinas Mutter kurz Hoffnung getreten
war, warf einen raschen Blick zum Fenster. Der Ausschnitt eines trüben kalten
Himmels war zu erkennen. Seit über einer Woche hatte Rom kein Sonnenstrahl mehr
gestreift. „Es ist Februar. Die Pässe in den Bergen bei Santo Stefano sind
verschneit und kaum begehbar. Niemals könnte ein Bote sie dort rechtzeitig
erreichen“, sagte Emilia mutlos.
„Ich werde
gehen.“ Eine hohe Gestalt löste sich aus dem Hintergrund. Sergej hatte dort
still verharrt, während sich die beiden jungen Frauen Ludovicos wegen berieten.
Über ihre Sorgen hatten sie seine Anwesenheit kurzzeitig vergessen.
„Ihr? Aber
es ist unmöglich“, wehrte Emilia ab. „Außerdem kennt Ihr die Gegend nicht,
Sergej. Trotzdem danke ich Euch für Euer Angebot.“
Sergej
lachte beinahe fröhlich auf und nahm ihre kleinen Hände in seine großen braunen.
„Habe ich Euch nicht ausgiebig von der rauen Gegend erzählt, aus der ich stamme?
In Sibirien herrschen im Winter Temperaturen, dass einem Blut und Knochen
gefrieren. Blizzarde und meterhohe Schneeverwehungen sind dort unser täglich
Brot und die Häuserdächer besitzen Ausstiegsluken, damit die Männer den Schnee
hinunter fegen können – ansonsten würde die Dächer unter dessen Last
einbrechen. Glaubt mir, die Begehung Eurer Abruzzen wird mir wie ein
Spaziergang vorkommen. Seid ohne Sorge, ich bringe Euch die Medizin. Längst ist
Ludovico wie ein eigener Sohn für mich geworden“, sagte er zärtlich und
berührte Emilias Wange. „Signorina Serafina“, wandte er sich dann an sie. „Am
besten, Ihr gebt mir einige erklärende Zeilen für Eure Mutter mit. Ich verlasse
Euch jetzt, um meine Vorbereitungen zu treffen. Erwartet mich in längstens zwei
Stunden zurück.“ Ein letzter herzhafter Kuss nach russischer Art auf Emilias
Wangen, und der große Russe sprang davon. Emilia eilte ans Fenster und sah ihm
nach, wie er sich im Hof auf seinen Rappen schwang. „Aber er wird sich verirren
und umkommen“, murmelte sie besorgt.
„Da wäre ich
nicht so sicher. Ich denke doch, dass der Mann weiß, was er tut“, meinte
Serafina, während sie neben Emilia ans Fenster trat. „Wenn er es unbedingt
versuchen will, dann können wir ihn nicht daran hindern. Und schließlich, warum
sollte ihm nicht das Unmögliche gelingen? Vermag die Liebe nicht alles?“
„Ach, sprich
mir nicht von Liebe“, seufzte Emilia und wandte sich vom Fenster ab. Mit
wenigen raschen Schritten überwand sie die Distanz zu Ludovicos Bett. Seine Amme
wachte neben ihm. „Geht jetzt, Antonella, und ruht Euch einige Stunden aus. Ich
werde bei unserem Kleinen bleiben.“
Serafina
entfernte sich ebenfalls, um den Brief für ihre Mutter zu schreiben.
Sergej hielt
Wort. Nach zwei Stunden kehrte er zurück. Er hatte mehrere seiner Männer
mitgebracht, große schweigsame Russen mit
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