Das Hexenkreuz
Demut und Einsicht?
Francesco
erhob sich und zog die verdutzte Emilia unter eine kleine geschützte Gruppe von
Zypressen. Dort stand eine steinerne Bank, die auf verwitterten Löwenfüßen
ruhte. Er zog rasch seine Jacke aus und legte sie auf die Bank. Dann hieß er
Emilia, darauf Platz zu nehmen. Plötzlich verlegen über ihren Ausbruch,
hantierte sie nervös mit ihrem Handschuh.
„Berichtet
mir von Eurem Bruder“, forderte er sie auf. „Was bereitet Euch solche Sorgen?“
„Ich habe
ihn seit bald zwei Wochen nicht mehr gesehen oder etwas von ihm gehört“,
sprudelte es aus ihr heraus. „Meinem kürzlich zu ihm gesandten Boten ließ man
mitteilen, Pater di Stefano wäre unabkömmlich und würde zu einem späteren
Zeitpunkt auf mich zurückkommen. Ist das die Möglichkeit? Als wäre ich eine
lästige Bittstellerin und nicht seine Schwester! Dabei leben wir in der selben
Stadt, kaum zwanzig Minuten Fußweg von einander entfernt. Ich habe tatsächlich
den Eindruck, dass er mich absichtlich meidet. Ich kann nicht verstehen, warum.
Dabei spüre ich, dass ihn etwas quält. Doch zum ersten Mal in seinem Leben
schließt er mich aus. Warum tut er das? Wir sind uns doch stets so nahe
gewesen.“
Ihre tiefe
Betrübnis rührte Francesco. Am liebsten hätte er sie erneut in die Arme
genommen, doch er durfte nicht schwach werden. Bevor er sprach, musterte Colonna
aufmerksam seine nähere Umgebung.
Emilia
irritierte sein Benehmen. Vermutete Francesco etwa fremde Lauscher in ihrem
Park? Offenbar hatte er nichts Verdächtiges entdecken können, denn er sagte:
„Ich kann Euch beruhigen, Emilia. Euer Bruder meidet Euch deshalb, weil er Euch
mit seinem Verhalten schützen will.“
„Mich
schützen? Aber wovor glaubt er denn, mich schützen zu müssen?“, rief Emilia
ungläubig aus.
„Davor, dass
Ihr in die Angelegenheiten des Jesuitenordens und insbesondere des Mannes, dem
Emanuele dient, verwickelt werdet“, erwiderte er ernst.
„Aber… worüber
sprecht Ihr? Ihr macht mir Angst. Erklärt Euch, ich bitte Euch!“
Francesco
gönnte sich einen Moment des Schweigens und konzentrierte sich ganz auf seine
Stiefelspitzen.
Emilia
konnte ihre Ungeduld kaum mehr zügeln. Er musste es gespürt haben, denn er hob
den Kopf und sah sie offen an. „Ihr habt Recht. Ich bin Euch tatsächlich eine
Erklärung schuldig - zumal ich nicht ganz unschuldig an seiner Situation bin.
Als ich vor Monaten aus Amerika heimgekehrt bin, hat mich der Pater General
Ricci zu sich rufen lassen. Er hat mir meine alte Position als sein Assistent
angetragen. Ich musste dies leider ablehnen.“
„Schön und
gut, aber was hat das mit meinem Bruder zu schaffen? Warum bezichtigt Ihr Euch
einer Mitschuld? Wem dient Emanuele, außer Gott?“ Plötzlich wurde Emilia so weiß
wie der Handschuh, den sie zwischen ihren Fingern knetete. „Bitte sagt jetzt nicht,
Ihr habt Emanuele dem Pater General für die Position empfohlen, die Ihr selbst
abgelehnt habt…?“
„Verzeih
mir…“ Francesco ging erneut auf ein Knie und nahm ihre unruhigen Hände zwischen
seine. Nun war er es, der in das vertrauliche Du hinüberglitt. „Lorenzo Ricci
ist ein guter Mann und er benötigte jemanden, dem er voll und ganz vertrauen
kann, jemanden wie deinem Bruder. Glaub mir, hätte ich geahnt, dass sich die
Situation des Ordens binnen weniger Monate derart zuspitzen würde, ich hätte es
nicht getan. Wir leben seit Jahren mit dem Damoklesschwert der Verbannung und
haben geglaubt, dass sich unsere Feinde mit den Erfolgen im Ausland zufriedengeben
würden. Doch es war ein fataler Irrglaube darauf zu hoffen, dass man die
Jesuiten in ihrem Stammland verschonen würde. Papst Clemens XIV. wird von einer Unzahl
Botschafter, allen voran dem mächtigen spanischen Gesandten José Moñino, bedrängt. Auch in der römischen Kurie nehmen
unsere Befürworter ab. So hat der Papst kürzlich unser Kolleg schließen lassen
und dem Pater General verboten neue Novizen aufzunehmen. Ohne Nachwuchs ist
unser Orden zum Sterben verurteilt. Die Lunte ist gelegt, ein Funke genügt. Und
es stehen ausreichend Feinde bereit, sie in Brand zu stecken.“ Francesco
verstummte wie jemand, der alles gesagt hat.
Emilia hatte
ihm aufmerksam gelauscht. Natürlich ließ sie der drohende Untergang des Ordens
nicht unberührt – insbesondere da das Schicksal ihres Bruders davon betroffen
war. Doch der kausale Zusammenhang zwischen der Bedrohung für den Orden und
Emanueles Verhalten ihr gegenüber hatte sich ihr
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