Das Hexenkreuz
wünschen?“
„Aber das
ist gerade der Punkt, Serafina. Immer sollen wir Frauen es aus der Sicht der
Männer betrachten. Warum? Wo bleiben wir? Soll es nur uns Frauen vorbehalten
sein, Verständnis aufzubringen? Im Grunde bedeutet dieses Verständnis doch nichts
anderes, als dass wir uns den männlichen Wünschen zu fügen haben.“
„Ich
verstehe dich sehr gut, glaube mir. Diese Welt ist nicht perfekt, es ist die
Welt der Männer. Männer sind rücksichtslos, immer auf den eigenen Vorteil
bedacht und stets nehmen sie, ohne zu geben. Niemand weiß das besser zu
beurteilen als die Frauen meiner Familie. Vor allem aber streben Männer nach
Einem: zu herrschen. Uns bleibt nur, uns in ihrer Welt zu arrangieren, so gut
wir es vermögen. Nur indem wir versuchen, die Männer zu verstehen, können wir
überhaupt in ihrer Welt überleben.“
„Und doch gilt dies nicht für alle Männer. Emanuele ist nicht
so, weißt du.“
„Du hast Recht, Emanuele ist anders“, pflichtete ihr Serafina
mit einem weichen Lächeln bei. „Bevor wir aber weiter diese Männerwelt
ergründen, sollten wir versuchen zu schlafen. Der Tag war lang genug. Ich
übernehme die erste Wache“, schlug sie in einem Ton vor, der Widerspruch
ausschloss. Eigentlich fühlte sich Emilia nicht müde, streckte sich aber
folgsam auf ihrem Sattel aus.
Irritiert fuhr sie hoch, als ihre Freundin sie an der
Schulter berührte. Wider Erwarten hatte sie mehr als zwei Stunden tief und
traumlos geschlafen.
Serafina gähnte herzhaft und zog sich auf ihren Schlafplatz
zurück. Emilia nahm ihren Platz am Feuer ein. Das hypnotische Spiel der Flammen
zog sie wie immer in seinen Bann und weckte alte Erinnerungen. Eines Tages hatten
sie bei einer ihrer Exkursionen auf einer Lichtung einen Steinkreis entdeckt.
Im Gegenlicht hatten die bemoosten Steine wie mystische Sagengestalten gewirkt.
Auf den Steinen waren geheimnisvolle Runen eingeritzt und Serafina hatte sie nacheinander
berührt. Zuletzt ruhten ihre kleinen Hände auf dem Altar in der Mitte. Als
Serafina sich von dem Stein gelöst hatte, hatte sie Emilia nur ein schwaches
Lächeln geschenkt und war erschöpft ins Gras gesunken. Doch abgesehen von der
Bemerkung, dass die Steine gut und sehr alt waren, hatte Emilia ihrer Freundin
keine weiteren Erkenntnisse entlocken können. Von jenem Tag an wurde der
Steinkreis zu ihrem geheimen Treffpunkt; in seinem Schutz fühlten sie sich
unverwundbar. Sie hatten am Feuer Kastanien geröstet und sich Schauermärchen
erzählt, oder sie waren darum herum getanzt und hatten versucht, die Geister
des Waldes aus ihren Verstecken hervorzulocken. In dieser Nacht wachte Emilia
das erste Mal alleine vor einem Feuer und ein merkwürdig leeres Gefühl stellte
sich ein. Woher sollte sie, verwurzelt in der Erde von Santo Stefano, auch
ahnen, dass in ihrer Seele das erste schale Echo der Heimatlosen erklang? Mit
ihrer Flucht hatte sie den schützenden Mantel ihrer Kindheit abgestreift. Die
fremde Nacht lastete plötzlich wie Blei auf ihren Schultern. Fröstelnd zog Emilia
die Decke fester um ihre Schultern. Der Wind hatte stetig zugenommen, wie
häufig in dieser rauen Gebirgswelt. Sein kalter Atem kroch über die Felsen,
unter ihre Decke, unter ihre Haut. Einige vom Wind zerfaserte Wolken hatten
sich um die Mondsichel geschlungen und kündigten einen Wetterumschwung an. Die
Dunkelheit wurde dichter, bedrohlicher. Emilia beeilte sich einige trockene
Zweige nachzulegen. Die auflodernden Flammen lösten ein wenig ihre Beklemmung. Sie
stand auf und lief einige Schritte, um ihren steif gewordenen Gliedern ein
wenig Bewegung zu verschaffen. Inzwischen hatten die Wolken den Mond
vollständig verschluckt, die Dunkelheit war vollkommen. Vergeblich versuchte Emilia
die Nacht zu durchdringen, aber alles, was außerhalb des Feuerscheins lag,
floss als verschwommene Schemen ineinander. Plötzlich stutzte sie. Aus dem
Dunkel heraus starrten sie zwei phosphoreszierende Augen an, verschwanden aber
sofort wieder. Sie tastete nach ihrem Degen und fragte sich gerade, ob sie
Serafina wecken sollte, als etwas Pelziges ihr Bein streifte. Noch bevor sie
einen Schrei ausstoßen konnte, gab das Tier einen vertrauten Laut von sich.
Emilia entfuhr ein Seufzer der Erleichterung. „Herrje, Paridi. Du bist das!“,
raunte sie. „Wo kommst du mitten in der Nacht auf einmal her?“ Sie hob den
Kater auf und presste ihn an sich. Entzückt rieb Paridi an ihrem Gesicht seine
samtige Schnauze. Durch die Anwesenheit des
Weitere Kostenlose Bücher