Das Hexenkreuz
Boden auf
verborgene Schlammlöcher zu untersuchen. Sie verspürte keinerlei Ambitionen,
Emilias unfreiwilliges Bad nachzuahmen. Ihre Stute blieb aber von selbst stehen
und schnupperte interessiert am Hinterteil des Hengstes, der nervös auf- und abtänzelte.
„Nichts
gegen das dumme Schaf“, kommentierte Serafina. „Verrätst du mir auch, weshalb
du dich für eines hältst?“
„Hör doch,
Serafina. Dieses Geräusch! Ganz in unserer Nähe muss ein Wasserfall sein!“
„Wunderbar!
Dann nichts wie raus hier“, rief Serafina aufgeräumt und lenkte ihre Stute, die
sich ungern von den Wohlgerüchen des Hengstes trennte, dem Ufer zu. „Wo ein
Wasserfall ist, ist auch eine Schlucht. Wir müssen die Richtung wechseln. Auf
geht’s, quer durch den Wald.“
Emilia
folgte ihr. Als Initiatorin ihrer abenteuerlichen Reise wollte sie sich vor
ihrer Freundin nicht die Blöße geben, dass ihr anfänglicher Enthusiasmus inzwischen
Einbußen erlitten hatte. Sie schlängelten sich durch die engstehenden Bäume wie
durch einen Parcours. Die tief herabhängenden Zweige stellten ein stetes
Ärgernis dar. Bald mussten sie absteigen und ihre Pferde am Zügel weiterführen.
Langsam kroch die Dunkelheit von den Bäumen zu ihnen herab und tauchte den Wald
in ein grünes Mysterium, das sich stetig dunkler färbte. In Kürze würden sie
die Hand vor Augen nicht mehr erkennen können. Mit Herabsinken der Dämmerung
schärften sich ihre Sinne. Das Knacken eines Zweiges oder das Rascheln eines
Tieres im Gebüsch ließ sie aufhorchen. Selbst die Vögel des Waldes waren inzwischen
verstummt. Dafür erwachten andere Tiere zu ihren nächtlichen Aktivitäten. Sie glaubten
förmlich zu spüren, dass sich verschiedene Augenpaare aus dem Dunkel heraus auf
sie richteten. Ohne Vorwarnung stieg der Hengst und tat einen Satz. Es geschah
so abrupt, dass Emilia fast die Zügel aus der Hand gerissen worden wären. Der
Araber drehte sich panisch im Kreis, stieß mit dem Hinterteil an einen Baum und
stieg erneut. Emilia wurde hochgehoben, verlor den Halt, klammerte sich aber
weiter an die Zügel. Das Pferd riss sie mit und ihre Beine schleiften über den
Waldboden. Sie hörte Serafina nach ihr rufen. Endlich bekam Emilia die Trense
zu fassen, um das Tier über sein empfindliches Maul zu bändigen. Unruhig tänzelte
der Hengst seitwärts, doch Emilia gewann die Kontrolle zurück. Er schnaubte und
hatte Schaum vor dem Maul. „Ruhig, alles ist gut“, flüsterte sie nah an seinem
Ohr. „Was hat dich nur so erschreckt?“ Sie tätschelte ihn weiter, während sie
sich im schwindenden Licht umsah und nachträglich erschauerte. Die Waldgrenze
mündete unmittelbar auf einem Felsplateau, nur wenige Meter trennten sie noch
vor dem schwarzen Abgrund! „Serafina, wo bist du? Bleib sofort stehen, hier
geht es nicht weiter“, schrie Emilia in die Dunkelheit hinter sich.
„Ich bin
hier“, kam es schwach zurück. Emilia folgte der Richtung ihrer Stimme. Ein
großer und ein kleiner Umriss tauchten auf. Der große war ihre Stute, der
kleine Serafina. Sie saß kläglich auf dem Boden. „Ich muss dir aber auch
wirklich alles nach machen“, klagte sie. „Ich bin aufgesessen, weil ich hoffte,
die Stute findet dann eher den Weg zu dem Hengst zurück.
„Hast du
dich verletzt?“, fragte Emilia und kniete sich neben ihre Freundin.
„Nichts, was
nicht schon vorher weh getan hätte“, stöhnte Serafina und rieb sich die besagte
Stelle unterhalb ihres Rückens.
„Kannst du aufstehen?“
„Nur wenn ich muss. Muss ich?“
„Na ja, es
wird gleich stockdunkel sein. Wir sitzen hier mitten auf einem Felsplateau, vor
uns gähnt ein Abgrund und hinter uns befindet sich ein Wald, der gerade
ziemlich munter wird. Wir sollten uns daher schleunigst nach einem einigermaßen
geschützten Nachtlager umsehen.“
„Also gut,
du hast mich überzeugt. Stehe ich also auf. Kümmer du dich um die Pferde,
während ich uns ein Nachtlager suche.“
Als Emilia
mit den beiden Pferden ankam, war Serafina bereits fündig geworden. Zunächst banden
sie die Pferde an einer verkrüppelten Kiefer fest. Sodann führte Serafina ihre
Freundin mit der Miene eines frischgebackenen Hausbesitzers zu einer
Felsformation, die am westlichen Ende des Plateaus aufragte. In deren Mitte
gähnte ein mehr als zwei Meter hohes schwarzes Loch: Der Eingang zu einer
Höhle. Sie beeilten sich diese zu inspizieren, bevor das letzte Tageslicht schwand.
Schon nach wenigen Metern schlug ihnen der faulige Gestank
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