Das Hexenkreuz
Katers seltsam getröstet, ließ sich
Emilia erneut am Feuer nieder. Sie sah zu Serafina, doch ihre Freundin hatte
sich nicht gerührt. „Lassen wir sie noch ein wenig ausruhen, was meinst du,
Paridi?“, flüsterte Emilia.
Plötzlich
geschah alles gleichzeitig: Der Kater fuhr mit einem rauen Fauchen auf, verharrte
kurz mit gesträubtem Fell und schoss dann auf den dunklen Waldsaum zu. Hinter
sich hörte Emilia, wie die Pferde angstvoll wieherten, stiegen und wie verrückt
an ihren Stricken zerrten. Emilia war längst aufgesprungen, den Degen in der
Hand. Sie stellte sich einer Gefahr, die sie nicht sehen konnte. Immerhin
glaubte sie einen unförmigen Schatten ausgemacht zu haben. Zu ihrem Entsetzen
bewegte er sich rasend schnell auf sie zu. Sie vernahm ein merkwürdiges
Schaben, als zöge jemand Nägel über den felsigen Boden. Gleichzeitig
durchschnitt ein hässlicher, trompetenartiger Ton die Nacht. Paridi schrie wie
von Sinnen. Jäh war der Schatten über ihr und ein ekelhafter Gestank nach Aas
schlug Emilia entgegen. Blindwütig stach sie mit ihrem Degen auf die dunkle Masse
vor ihr ein und warf sich dann zur Seite. Ein Lufthauch streifte sie, doch der
Schatten hatte sie verfehlt. Er stieß einen Laut aus, der ihr durch Mark und
Bein fuhr. In dieser Sekunde riss der Himmel auf, als wollte er den verzweifelten
Kampf auf Leben und Tod beleuchten. Emilia konnte ihren Feind sehen - einen
riesigen Braunbären. Zum zweiten Mal schoss ihr der Gedanke durch den Kopf,
dass sie sterben würde. Doch nicht so. Sie hob den Degen und stach der Bestie wütend
in den Wanst. Völlig unbeeindruckt, als hätte ihn eine Mücke belästigt, stieß
der Bär ein Knurren aus. Er hatte sich auf seine Hinterbeine erhoben und hieb
mit seinen mächtigen Pranken nach ihr.
Unvermittelt
erscholl ein gewaltiger Donnerschlag in der Nacht, der mit einem grellen Lichtblitz
einherging. Der Bär brüllte, taumelte einige Schritte, drehte sich um sich
selbst und verschwand dann plötzlich wie von Zauberhand. Wo ist er hin? fragte sich Emilia. Und was war das für ein Knall? Jäh trug ihr der Wind
beißenden Pulverdampf zu und schlagartig begriff sie: Die erbeutete Pistole!
Serafina musste sie abgefeuert haben! Sie rief nach ihr. Die Wolkendecke hatte
sich erneut geschlossen und Emilia konnte sich nur an den glühenden Resten des
Feuers orientieren. Serafinas Schlafplatz war verlassen. Mit zitternden Fingern
entzündete Emilia einen dürren Ast. Schließlich fand sie ihre Freundin. Sie lag
bewusstlos vor dem Höhleneingang. „Serafina!“ Emilia warf sich neben sie und
bettete vorsichtig deren Kopf auf ihren Schoß. Etwas Feuchtes nässte ihre
Finger. Schockiert erkannte sie, dass es Blut war. „Serafina, was ist mit dir?
Wach auf, bitte.“ Emilia beugte sich nah über ihr Gesicht. Gott sei Dank,
sie atmete noch! Sie stand auf und entfachte das Feuer neu. Dann suchte sie
die Pferdedecke, die sie beim Angriff des Bären verloren hatte. Sie rollte sie
zusammen und schob sie vorsichtig unter Serafinas Kopf. Deren Satteltasche
entnahm sie Leinen und den Kräuterbeutel. Gott sei Dank hatte sich Paridi
wieder eingefunden. Kläglich maunzend saß er neben seiner Herrin. Emilia
säuberte und verband Serafinas Kopfwunde. Danach blieb ihr nichts übrig, als darauf
zu warten, dass Serafina das Bewusstsein wieder erlangte. In der Zwischenzeit
bereitete sie einen kräftigen Kräutertee zu. Alle diese Aktivitäten hatten sie
bisher vor dem `Was-wäre-wenn´ bewahrt. Nun, da sie zur Ruhe kam, sprang sie
die Sorge um ihre verletzte Freundin an wie ein gefräßiges Tier. Sie
umklammerte den Becher, als wäre er ihr letzter Halt auf Erden. So sehr war sie
ihrem Trübsinn verhaftet, dass sie erschrocken herumfuhr, als eine leise Stimme
sagte: „Was ziehst du für ein Gesicht? Schmeckt der Tee nicht? Mein Gott, mir
brummt vielleicht der Schädel. Was ist passiert?“ Serafina hatte sich halb
aufgerichtet und betastete mit schmerzverzerrtem Gesicht ihren Verband.
„Serafina,
endlich! Du bist wach!“, rief Emilia. Die Erleichterung, dass Serafina schon
wieder spotten konnte, brachte ihr Gesicht zum Leuchten. „Sieh mal, wer auch da
ist“, sagte Emilia und deutete auf Paridi, der sich bequem auf Serafinas Brust
niederließ.
„Paridi“,
entfuhr es ihr. „Du Schelm wolltest wohl nicht allein zuhause bleiben?“ Sie
schien nicht besonders überrascht zu sein, ihn hier zu sehen.
Emilia hatte
inzwischen für Serafina einen Becher mit heißem Tee gefüllt. Sie
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