Das Hexenkreuz
Zügel. Die Trattoria „Il Papa“ am Rande des Borgos gelegen geriet
in sein Blickfeld. Er hielt darauf zu, da es ihn plötzlich nach Wein gelüstete.
Nachdem er zwei Humpen in rascher Folge konsumiert hatte, bestieg er sein Pferd
und ritt zum Collegio Romano, wo er seinen Bruder Emanuele wusste. Er würde
nichts riskieren, wenn er seinen Bruder über sein zufällig erworbenes Wissen in
Kenntnis setzte. Sollte er sich doch um die Freilassung ihrer Schwester
bemühen. Dort angekommen, informierte man ihn, dass Pater di Stefano vor kurzem
eine eilige Nachricht erhalten hatte und überstürzt und ohne Nennung eines
Ziels aufgebrochen war. Also hatte jemand Emanuele bereits über das Schicksal
seiner Schwester unterrichtet. Piero nahm die Nachricht mit Erleichterung auf,
denn so blieb ihm die Konfrontation mit seinem jüngeren Bruder erspart, dessen
Rechtschaffenheit ihm jedes Mal den Appetit verdarb.
Er hatte den
Beschluss gefasst, keine weiteren Versuche zu unternehmen, um für Moñino die
Kastanien aus dem Feuer zu holen. Sollten doch die Kirchenteufel ihren Kampf
untereinander austragen. Er wollte nichts mehr damit zu schaffen haben.
Entschlossen lenkte er sein Pferd gen Osten. Er würde friedlich nach Venedig zu
seiner Gemahlin heimkehren und auf das Beste hoffen. Er stand schließlich nicht
zum ersten Mal am Rande des Bankrotts und noch jedes Mal war es ihm gelungen,
den Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Falls er einen Sohn und Erben bekam, so
hatte ihm der Schwiegervater versprochen, würde er seinem Enkel den feudalen
Palazzo am Canale Grande, den sie derzeit nur von seinen Gnaden bewohnten,
überschreiben. Er könnte diesen dann beleihen, ein Schiff erwerben und es
ausrüsten. Mit dem Gewinn des ersten Schiffes konnte er dann ein weiteres
erwerben und… Er spann seine Spekulationen noch eine Weile fort. Nichts
vertrieb einem die Zeit so sehr wie die Aussicht auf künftigen Reichtum. Piero
befand sich bereits nahe der Stadtgrenze, als ihm einfiel, dass Emanueles
überstürzter Aufbruch vielleicht weniger Emilias Verhaftung zugrunde lag,
sondern den Diebstahl der Dokumente betraf. Er unterdrückte einen scharfen
Fluch. Erneut musste er die Entscheidung treffen, Emilia womöglich ihrem
Schicksal zu überlassen. Er empfand es als äußerst ärgerlich, dass er
anscheinend so etwas wie ein Gewissen entwickelt hatte. Doch er musste zugeben,
dass er seine kleine Schwester schon immer bewundert hatte. Wie sie nun, mit
gerade einmal dreiundzwanzig Jahren und bereits zweimal verwitwet, ihr Leben
fest in den Zügeln hielt, rang ihm keine geringe Achtung ab. Piero hielt sein
Pferd mitten auf der Straße an. Hinter ihm ließ ein Händler einen ärgerlichen
Ruf hören, da er dadurch ebenfalls stehen bleiben musste. Er saß auf einem
armseligen Fuhrwerk, das ein ebenso armseliger Klepper zog. „He, Ihr da, feiner
Herr. Entscheidet Euch gefälligst, wohin Ihr wollt. Andere Leute haben nicht so
viel Zeit!“, schimpfte er. Unter normalen Umständen hätte ihm Piero diese
Unverschämtheit mit einem Hieb seiner Peitsche vergolten. Stattdessen wendete
er sein Pferd und ritt auf demselben Weg zurück. Je mehr er sich der Via del
Corso näherte, um so langsamer wurde sein Schritt. Ein Gewissen zu entdecken
mochte gut und hehr sein, aber es marschierte nicht im Einklang mit seinem Mut.
Er konnte bereits Emanueles vor Enttäuschung waidwundes Gesicht vor sich sehen
- nicht zu vergessen die Hexe Serafina, die ihn vermutlich mit irgendeinem
Zauber belegen würde. Er hoffte inständig, dass ihm zumindest die Begegnung mit
der liebreizenden Gräfin Vittoria und ihrem Gemahl, den sie wie einen
verbliebten Gockel hinter sich her zog, erspart bleiben würde.
Jeder Weg,
egal wie langsam man ihn auch geht, findet irgendwann sein Ende. Vor der Villa
Meraviglia angekommen, verharrte er auf seinem Pferd und begutachtete die weiße
Fassade des Palazzo, die drei Stockwerke über ihm aufragte. Das im 16.
Jahrhundert im Renaissance-Stil erbaute Gebäude bestach durch Einfachheit, nur
dem Piano Nobile verlieh eine Halbsäulengliederung Eleganz. Der Medici-Papst
hatte ihn für seine schöne Geliebte Giulia Varnese erbauen lassen. Angeblich
war dieser Palazzo die einzige Auftragsarbeit gewesen, die der große Architekt
Andrea Palladio je in Rom ausgeführt hatte.
Ein Stöhnen
drang an seine Ohren und Piero wandte sich um. Ein Mann in blutbefleckter
Kleidung humpelte auf einen anderen gestützt hinter ihm in den Hof. Der
Verletzte sprach Piero mit
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