Das Hexenkreuz
wenige Minuten währenden Rittes fiel ihm ein, dass er dort
niemanden kannte, an den er sich hätte wenden können. Dies ließ seinen frisch
gewonnenen Elan etwas abflauen. Am Ende würde ihm nichts anderes übrig bleiben,
als zu der nächstbesten Wache der Schweizergarde zu marschieren und zu
behaupten: Mein Name lautet Piero di Stefano und ich habe wichtige Informationen
über den Verbleib von gestohlenen Dokumenten aus dem Geheimarchiv der Jesuiten .
Falls man
ihn abweisen würde, konnte er immer noch entscheiden, ob er nach Venedig reiten
oder ins Haus seiner Schwester zurückkehren würde, um nach dem Verbleib der übrigen
Dokumente zu forschen - die er dann dem Meistbietenden verkaufen würde. Den
Gedanken, dass man ihn in der Villa Meraviglia nicht gerade mit offenen Armen
empfangen würde, stellte er hintan. Er vertraute hier zu gegebener Zeit ganz
auf seinen Erfindungsgeist - worin er frappierend seiner Schwester glich.
Piero passierte
die alte Engelsbrücke über den Tiber und hielt auf das Mausoleum des Hadrian
zu, das meist nur noch Castel Sant ´Angelo genannt wurde. Dann schwenkte er
nach links auf den Borgo und schlängelte sich hindurch. Die Hufe seines Pferdes
hallten über das alte römische Pflaster und scheuchten die Händler und
Spaziergänger rücksichtslos zur Seite. Der Vatikan unterhielt umfangreiche
Stallungen. Er hielt darauf zu. Beinahe noch im vollen Lauf sprang er vom Pferd
und warf die Zügel einem herbeieilenden Stallburschen zu. „Hier, pass gut auf
ihn auf, aber halte ihn bereit. Es könnte sein, dass ich bald zurückkehre.“ Er
spähte um sich, um den geeigneten Schweizergardisten für sein Vorhaben
auszuwählen. Es sollte ein Grünschnabel sein, den er mit seinem Auftreten
einschüchtern konnte.
Unvermittelt
erregte ein anderer Stallbursche seine Aufmerksamkeit, der seine liebe Not
damit hatte, eine herrliche schwarze Vollblutstute zu bändigen. Das Tier hatte
Schaum vor dem Mund und drehte sich schnell wie ein Kreisel. Blitzschnell warf
es den Kopf zurück und versuchte den Jungen zu beißen, der mit aller Kraft an
seinem Zügel hing und sich dabei mehr oder weniger von ihm mitschleifen lassen
musste. Plötzlich vollführte das Pferd erneut eine halbe Drehung und stieg,
wobei seine mächtigen Vorderhufe nur knapp den Kopf des Jungen verfehlten. Der
Bursche stolperte und ließ die Zügel fahren. Piero sprang ihm zur Hilfe. Es
gelang ihm die Zügel des Tieres zu fassen, bevor es über alle Berge war.
Beruhigend sprach er auf es ein. Sei es seine Stimme gewesen oder dass das
Pferd einfach nur müde geworden war, jedenfalls gelang es ihm tatsächlich, es
zu besänftigen. Piero hatte mit seiner Tat keineswegs uneigennützig gehandelt.
Er hatte das Tier erkannt. Es handelte sich um die Stute Artemis, Emilias
Pferd. Was hatte seine Schwester im Vatikan zu schaffen?
Der
Stallbursche kam humpelnd auf ihn zu. „Ich danke Euch, edler Herr“, stieß der
Junge atemlos hervor. Er fuhr sich mit dem Ärmel über die feuchte Stirn. „Was
für ein Biest ...“
„Ja, aber
ein selten schönes…“, meinte Piero und tätschelte den schweißnassen Hals der
Stute.
Dabei
entdeckte er einige dunkle Flecken auf dem Leder des Sattels. Misstrauisch fuhr
er mit den Finger darüber und fand seine Befürchtung bestätigt: Es handelte
sich um Blut! Kein Wunder, dass das Tier sich derart panisch aufgeführt hatte. Es
roch das Blut. Aber woher stammte es? Die Stute erschien ihm unverletzt. „Wem
gehört dieses wundervolle Tier? Ich würde es dem Besitzer gerne abkaufen“,
fragte er wie beläufig.
Das Gesicht
des Burschen verschloss sich sofort. Er warf ängstliche Blicke um sich und biss
die Lippen fest zusammen.
„Was ist
denn los? Willst du mir nicht antworten? Ich habe dir eine harmlose Frage
gestellt. Oder ist der Besitzer eine so hoch gestellte Persönlichkeit, dass du
seinen Namen nicht verraten darfst? Also gut, wenn du mir so den Dienst
vergelten willst, den ich dir gerade erwiesen habe, dann ist das deine Sache.
Viel Glück mit dem Pferd.“ Er tat so, als wollte er sich abwenden.
„Hoher
Herr“, rief der Bursche möglichst leise. „Verzeiht, ich wollte Euch keinesfalls
kränken. Es ist nur so, ich darf es wirklich nicht sagen, weil… weil ich es eigentlich
gar nicht wissen darf.“
„Aber warum
denn nicht? Ich würde einen sehr guten Preis für das Pferd bezahlen. Meine
Verlobte wünscht sich seit langem genau so ein Vollblut. Du würdest dem
Eigentümer womöglich zu einem guten
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