Das Hexenkreuz
einen Schreckenslaut aus und lief gehorsam davon.
Jemand eilte
die Treppe herab. „Piero? Du? Was willst du hier noch?“, rief Emanuele erbost.
Das Blut war ihm in die Wangen geschossen. Ohne anzuhalten stürzte er sich
sofort mit erhobenen Fäusten auf seinen Bruder.
Bevor Piero
sich versah, hatte Emanueles Rechte ihn mit einer aus der Wut geborenen Wucht
getroffen. Die erzielte Wirkung war beträchtlich: Piero, obschon stabil gebaut,
taumelte rückwärts, fasste ins Leere und machte dann Bekanntschaft mit dem
Fußboden. Soviel zu seiner Annahme, dass er von Emanuele kaum eins auf die
Nase bekommen würde ... Das hatte er nun von seinem Gewissen. Von dem
jüngeren Bruder niedergestreckt zu werden, war eine Blamage, die er sich
keinesfalls anmerken lassen wollte. „Bravo, Emanuele!“, nuschelte er mit einem
schiefen Lächeln. „Du hast mir die Nase gebrochen.“
„Das war
noch gar nichts. Du hast Glück, dass ich mich rechtzeitig daran erinnert habe,
dass ich Priester bin. Am liebsten würde ich dir jeden Knochen im Leib einzeln
brechen für das, was du getan hast“, sagte Emanuele kalt und rieb sich die
schmerzenden Fingerknöchel.
„Ich gebe
gerne zu, dass ich das verdient habe“, gab sich Piero einsichtig.
Emanuele
überhörte seine Worte absichtlich und fuhr ihn stattdessen an: „Raus hier. Hast
du noch nicht genug angerichtet? Lass dich nie wieder hier blicken. Du bist
nichts weiter als ein gemeiner Dieb.“
„Du solltest
auf deinen Bruder hören. Du bist hier nicht willkommen“, rief Serafina, die aus
der Kammer des verletzten Pater Baptista trat. Der Lärm hatte sie auf den Plan
gerufen.
Piero rappelte
sich auf und hielt sich den Ärmel unter die Nase, um den Blutfluss zu stillen. „Ich
sagte doch, dass Ihr Recht habt, auf mich wütend zu sein,“ bekannte er
freimütig. „Die ganze Aktion ist ein Fehler gewesen, aber ich war gezwungen…“
„Gezwungen?
Du? Was versuchst du uns hier für einen Unsinn aufzutischen?“, unterbrach ihn
Emanuele wütend.
„Nur die
Wahrheit, Emanuele. Ich wurde bedroht und…“
„Denkst du
vielleicht, mich interessieren deine Lügen?“, ließ Emanuele ihn erneut nicht
ausreden.
Piero fand,
dass es Zeit wurde, dass er seine Trumpfkarte zog: Sein Wissen über die
Verhaftung Emilias. „Emanuele, hör mir zu, ich muss dir dringend…“
„Nein, du
hörst mir jetzt zu. Du verschwindest jetzt von hier, bevor ich mich doch noch
vergesse. Grigorowitsch, wirf ihn hinaus!“, gab er den Befehl an den bulligen
russischen Leibdiener weiter, den die lautstark geführte Diskussion ebenfalls
herbeigelockt hatte. Er stand mit verschränkten Armen wie eine Schildwache
neben dem Ausgang. Ohne Piero weiter zu beachten, lief Emanuele an ihm vorbei
und strebte auf das offene Eingangsportal zu. Auf diese Weise abgekanzelt,
beobachtete Piero verblüfft, wie Emanuele die wenigen Stufen nahm, sich auf ein
fertig gesatteltes Pferd schwang, das ein Stallbursche herangeführt hatte und
ihm die Zügel schießen ließ.
„Aber, so
hör doch…“, setzte Piero ein letztes Mal vergeblich an. Doch sein Bruder
entschwand bereits seinen Blicken.
„Emanuele
hat absolut Recht. Niemand will dich hier haben. Geh!“ Vor Piero aufgebaut, zeigte
Serafina unmissverständlich zur Tür. Grigorowitsch´ massige Gestalt hatte sich
ihm drohend genähert.
Seine
Verblüffung schlug nun in jähen Ärger um. Was erlaubte sich diese unverschämte
Hexe mit ihm? Wagte es, sich hier als Hausherrin aufzuspielen, obwohl sie
nichts weiter war als eine einfache Magd. Nicht mit ihm! „Achte auf deinen Ton,
Mädchen“, maßregelte er sie. „Denkst du, ich bin hier, um mich von dir
beschimpfen zu lassen? Wenn es nicht um meine Schwester ginge, dann würde ich
dich schon lehren, wie man mit einem Herrn spricht“, fuhr er sie an.
„Du hättest
an Emilia denken sollen, bevor du sie bestohlen hast“, gab Serafina zurück, die
seine Drohung wenig beeindruckte. Vor Piero hatte sie noch nie Angst empfunden.
„Das tut
jetzt nichts zur Sache“, wiegelte Piero ab. Stattdessen verkündete er in
wichtigtuerischem Ton: „Ich weiß, wo Emilia ist.“
„Wir wissen
selbst, wo Emilia ist“, rief Serafina genervt. „Darum ist Emanuele ja in aller
Eile aufgebrochen.“
„Wie, euch
ist bereits bekannt, dass meine Schwester verhaftet wurde?“ Piero konnte seine
Enttäuschung darüber schwerlich verbergen. Er sah sich um die Sensation
gebracht, für die er bereits einen Faustschlag seines Bruders kassiert
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