Das Hexenkreuz
die
persönliche Intervention des Papstes Baptistas Plan erübrigte. Wer weiß,
vielleicht konnte er die Fürstin noch am heutigen Abend wieder den Ihren
zuführen? Schon malte er sich ihre gemeinsame Ankunft in der Villa Meraviglia
aus. Er musste zugeben, dass ihm die Rolle des Retters der Fürstin äußerst
behagte… Er hätte es besser wissen müssen: Er hatte die Rechnung ohne den Stolz
der Fürstin aufgemacht.
Emilia
fixierte den Papst und sagte: „Ich möchte Beschwerde gegen den Konsultor
Bertolli und den Großinquisitor Stoppani einlegen. In deren Auftrag wurde ich
daran gehindert, die Stadt zu verlassen, mein Gepäck durchsucht, mein Pferd
beschlagnahmt und vermutlich mein Diener ermordet, da man mich über sein
Schicksal im Ungewissen lässt. Ich bin eine unbescholtene Bürgerin dieser Stadt
und frage mich, ob der Papst tatsächlich soviel Willkür in seiner geliebten
Stadt Rom zulässt?“ Emilia konnte spüren, wie alle Anwesenden den Atem
anhielten.
Clemens
selbst musterte sie mit einem merkwürdigen Ausdruck, in den sich vages Interesse
mischte. Er war der Fürstin nie zuvor begegnet. Er wusste nur das über sie, was
man ihm zugetragen hatte: Dass sie seit dem Tod ihres zweiten Mannes sehr
zurückgezogen lebte, sich der Erziehung ihrer Kinder widmete, immens viel Geld
für Wohltätigkeit ausgab, eine private Schule für Mädchen und ein Waisenhaus gegründet
hatte und darüber hinaus mit einem für eine Frau ungeziemenden Eifer über die
Fortführung der Geschäfte ihrer beiden verstorbenen Ehemänner wachte. Nun
stellte er fest, dass sie mit dem Gift des Stolzes infiziert war. In seinem
ganzen Leben war er bisher nur einer einzigen Frau begegnet, die ihm ebenso
frei von Angst oder Ehrfurcht begegnet war: Der verstorbenen Schwiegermutter
dieser Frau. Beatrice war eine überaus gefährliche Frau gewesen. Diese hier
ähnelte ihr in ihrer Art. War sie tatsächlich so unschuldig, wie sie vorgab zu
sein?
„Ich bin zutiefst
betrübt von diesen Anschuldigungen zu hören, Fürstin“, entgegnete er nun. „Doch
als der Oberhirte einer sehr großen Herde bin ich auf die Urteilskraft meiner
Untertanen angewiesen. Ich kenne den Großinquisitor als einen besonnenen Mann,
der nichts ohne Anlass unternimmt. Hat man mich etwa falsch unterrichtet, indem
man mir sagte, dass man Euch des Diebstahls von Kircheneigentum verdächtigt und
dass Ihr einen meiner tapferen Soldaten getötet haben sollt?“
„Eure
Heiligkeit, ich habe mich lediglich gegen die unrechtmäßige Verhaftung
gewehrt.“
„Verzeiht,
Eure Heiligkeit, wenn ich es wage, mich ungefragt zu Wort zu melden. Aber da
die Fürstin mich unlauteren Verhaltens anklagt, bitte ich Euch untertänigst,
sprechen zu dürfen.“ Die hagere Gestalt des Konsultor Bertolli trat hervor. Er
war der kleinen, vom Camerlengo angeführten Gruppe gefolgt, hatte sich jedoch
fürs erste außerhalb des Lichtkreises aufgehalten.
„Pater
Bertolli, Ihr seid das.“ Dem Papst war der hasserfüllte Ausdruck keinesfalls
entgangen, mit dem die junge Frau dessen Einmischung quittierte. „Nun denn. Es
erscheint mir nur recht und billig, beide Seiten zu Wort kommen zu lassen. Dann
erklärt mir bitte, Pater Bertolli, was genau Euch dazu veranlasst hat, die
Fürstin Wukolny zu verhaften?“
„Die
Tatsache, dass die Fürstin die getreue Kopie eines Dokuments von unermesslichen
Wert bei sich führte, dessen Original einst aus den geheimen vatikanischen
Archiven entwendet wurde. Wir fahnden seit zwei Jahrhunderten danach.
Verständlicherweise wollen wir von der Fürstin in Erfahrung bringen, von wem
sie diese Kopie erhalten hat.“
„Zeigt mir
diese angebliche Abschrift.“ Der Papst streckte die Hand aus. Bertolli trat
näher und zog ein Stück Pergament aus seinem weiten Ärmel.
Der Papst
entrollte es und hielt es näher an die Kerzen heran. Emilia entging nicht, dass
seine Hände während der Lektüre anfingen zu zittern. Der Papst musste mit dem
Inhalt bereits vertraut sein! Es musste also irgendwo mindestens eine weitere
Abschrift des Jesus-Evangeliums geben. Bisher hatte sie lediglich angenommen,
dass die wenigen Eingeweihten nur vermuteten, dass das Jesus-Evangelium
existierte. Dass der Papst selbst eingeweiht war, schien ihr eine überaus
interessante Erkenntnis zu sein.
„Spricht der
Konsultor Bertolli die Wahrheit? Befand sich diese Abschrift in Eurem Gepäck?“,
fragte der Papst sie nun direkt.
„Ja, Eure
Heiligkeit, dies entspricht der Wahrheit“, musste Emilia
Weitere Kostenlose Bücher