Das Hexenkreuz
Tat
passierte nun eine kleine Prozession das gewaltige Portal des Apostolischen
Palastes. Zwei Diener trugen eine Bahre, auf der eine schmale Gestalt unter
einem einfachen Leintuch ruhte. Der russische Gesandte schritt feierlich
nebenher - was ihn jedoch nicht hinderte, den dicklichen Dominikaner, der neben
ihm hüpfte, wüst zu beschimpfen. Hinter der Bahre folgten nochmals zwei Wachen
mit ihren altmodischen Hellebarden.
Donna Elvira
und Serafina besannen sich auf ihre Rolle. Serafina stürzte aus der Kutsche und
stieß Klagelaute aus, während Donna Elvira neben der Kutsche stehenblieb und
dem Zug ernst entgegenblickte.
Emilia wurde
mit äußerster Behutsamkeit in die Kutsche gebettet. Wie ein Feldherr, der seine
Truppen in Marsch setzte, gab Piero das Zeichen zur Abfahrt. Die schweren
Eisenräder setzten sich in Bewegung. Prinz Galitzin und Piero folgten der
Kutsche zu Pferde.
Bevor der
russische Botschafter die Piazza verließ und in den Borgo einbog, wandte er
sich auf seinem Pferd nochmals um. In dem offenen Portal hinter ihm konnte er
eine weitere Gestalt ausmachen. Der Prinz erkannte in ihr Konsultor Bertolli,
der sich zuvor nicht hatte blicken lassen. Der Russe war inzwischen zu weit
entfernt, um den Ausdruck des Mannes deuten zu können, doch er hätte seine
diplomatische Karriere darauf verwettet, dass es ein wütender war. Der
Konsultor hatte einen hohen Einsatz gewagt und verloren. Galitzin setzte sein
Pferd wieder in Bewegung. Dann erst gönnte er sich ein zufriedenes Lächeln.
Donna Elvira und Serafina hatten Piero bei Ankunft in der
Villa Meraviglia verkündet, Emilia in ihrem Zimmer aufbahren zu wollen. Piero
hatte nichts dagegen einzuwenden gehabt. Er schien im Gegenteil erleichtert, dass
die beiden Frauen sich um alles Formale kümmerten und er nicht damit belästigt
wurde. Prinz Galitzin führte nun seinen Auftrag aus und bot Piero bis zur
Bestattung der teuren Fürstin die Gastfreundschaft seiner Botschafterresidenz
an. Piero ließ sich von ihm mit gewichtiger Miene hinausgeleiten.
Pater
Baptista, dem es nach fast zehn Stunden erholsamen Schlafs sichtlich besser
ging, hatte sich sogleich in Emilias Gemach eingefunden. Nun ruhte er in einem
bequemen Armsessel und verfolgte mit gespannter Aufmerksamkeit die Bemühungen
Donna Elviras, Emilia rasch ins Leben zurückzuholen.
Serafina
hatte sich zum Türwächter erklärt und diese vorsorglich verschlossen. Nicht
auszudenken, wenn die falsche Person hereinplatzte und sie bei Verrichtungen
erwischte, die man nicht unbedingt an Toten vollzog. Nervös wartete Serafina
darauf, dass Emilia aus ihrem todesähnlichen Schlaf erwachte. Als sie ihre
Freundin in der Kutsche bleich und regungslos liegen gesehen hatte, war ihr der
Schrecken gehörig in die Glieder gefahren. Sie hatte kaum glauben können, dass
in dieser starren Gestalt, deren Haut sich kühl wie Marmor anfühlte, noch ein
Funken Leben sein sollte.
Die nächsten
Stunden stellten alle Anwesenden auf eine harte Geduldsprobe. Donna Elvira
hatte verkündet, dass die Blutzirkulation wieder in Gang gebracht werden
musste. Unermüdlich wechselten sich die beiden Frauen darin ab, Emilias Hände
und Füße zu massieren. Es dauerte trotzdem vier quälend lange Stunden, bis
endlich ein wenig Farbe in Emilias Wangen zurückkehrte. Donna Elvira atmete
sichtbar auf. Nach einer Massage mit einem Öl, dem der Geruch von Lavendel und
Kampfer anhaftete, schlug Emilia die Augen auf. Ihre Lider flatterten und sie
wirkte desorientiert. Doch das Leben kehrte in ihre Augen zurück. Bald lagen
sich die drei Frauen lachend und weinend zugleich in den Armen. Selbst der hart
gesottene Pater Baptista konnte sich einer gewissen Rührung nicht erwehren.
Gebadet und
in ein frisches Gewand gehüllt, löffelte Emilia mit einem wahren Bärenhunger
zwei Schüsseln einer kräftigen Minestrone, die Donna Elvira angeblich für Pater
Baptista in Auftrag gegeben hatte. Auch er tat sich mit gesundem Appetit daran
gütlich. Emilias erste Frage galt ihren Kindern. „Keine Sorge, wir haben sie
mitsamt ihrer Entourage nach Civitavecchia geschickt. Filomena ist bei ihnen.“
Insofern
beruhigt, wollte Emilia alles über ihre wundersame Errettung erfahren, die sie
im wahrsten Sinne verschlafen hatte. Sie erfuhr nun auch von dem Diebstahl der
restlichen Rollen durch ihren Bruder Piero. Sie reagierte relativ gefasst
darauf, indem sie anmerkte, dass von Piero nichts Besseres zu erwarten gewesen
wäre. Am Ende wollte sie wissen: „Wie
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