Das Hexenkreuz
Das war alles, was sich
Mutter und Tochter an Sentimentalität gönnten. Dann räusperte sich Serafina und
meinte: „Wir sollten mit dem Packen beginnen. Für alle Fälle sollten wir auch
einige Juwelen in unsere Unterröcke einnähen.“
„Bravo! Das
ist meine Tochter, stets praktisch veranlagt.“
„Ja, und wie
immer hat sie Recht“, seufzte Emilia, während sie in ihrer Kleiderkammer
verschwand, um das Entbehrliche vom Notwendigen zu trennen. Serafina wollte ihr
bereits folgen, als sie bemerkte, wie ihre Mutter ans Fenster trat. Ihre
Haltung drückte angespannte Nachdenklichkeit aus. „Was ist Mutter? Beunruhigt
dich etwas?“
„Ich musste
nur eben daran denken, dass unser guter Grigorowitsch Emanuele und Francesco
vermutlich mittlerweile aufgespürt haben wird. Ich rechne damit, dass sie
spätestens übermorgen hier eintreffen werden.“
„Aber, das
ist doch gut, oder?“, wunderte sich Serafina.
„Schon…“
„Was bedrückt
dich dann?“ Ohne es zu wollen, hatte sich in Serafinas Ton eine Spur Furcht
eingeschlichen. Zu sehr verließ sie sich auf die Intuition ihrer Mutter.
„Ich weiß
nicht, wie hilfreich es ist, dass sie durch Grigorowitsch erfahren haben, dass
die Fürstin durch päpstliche Soldaten verhaftet worden ist.“
„Ehrlich
Mutter, du sprichst in Rätseln.“
„Es ist die
Sprache des Schicksals“, murmelte Donna Elvira so leise, dass Serafina deren
Sinn gerade noch erfassen konnte.
„Dann
erkläre sie mir, bitte“, forderte sie sie auf, während sich ihr Pulsschlag beschleunigt
hatte.
Mit einem
Seufzer wandte sich Donna Elvira von dem Fenster ab, unter dem sich das
betriebsame Leben Roms abspielte. Sie legte ihrer Tochter beruhigend den Arm um
die Schulter und drückte sie in einer ihrer seltenen, zärtlichen Anwandlungen
an sich. „Ach, hör nicht auf mich, meine Tochter. Vermutlich mache ich mir
einfach nur zu viele Gedanken. Das Erbe meiner Ahnen… Es ist gut, wie es ist.
Komm, gehen wir packen.“
XVIII
Die Tür zu Francesco Colonnas kargem Quartier wurde
aufgerissen. Jemand stürmte herein, packte ihn und keuchte: "Wo ist sie?
Wo ist Emilia?"
Francesco hatte
Emanuele erkannt, bevor er die Worte ausgestoßen hatte, die auch ihm das Blut
aus dem Gesicht trieben. Eine einzige kümmerliche Kerze kämpfte gegen das
herrschende Halbdunkel an. Trotzdem konnte er erkennen, dass sich sein Freund
in einem erbärmlichen Zustand befand. Der beschmutzten Kleidung nach schien er
den gesamten Weg von Rom bis nach Viterbo in einem Ritt bewältigt zu haben.
Sein Freund schien
nicht er selbst zu sein. Er stierte wild in dem Raum um sich. Doch die winzige
Mönchszelle war spartanisch möbliert und bot keinerlei Möglichkeit, einen
Menschen darin zu verbergen. Dies schien Emanuele inzwischen auch klar geworden
zu sein. Seinem hilflosen Gesichtsausdruck nach zu urteilen, war dieser Ort
offenbar seine letzte Hoffnung gewesen. Plötzlich fiel seine Wut wie ein
Kartenhaus in sich zusammen und dumpfe Verzweiflung trat an deren Stelle.
Emanuele sackte zitternd auf die schmale Schlafstatt.
"Beruhige
dich erst einmal", sagte dieser, während er aus dem Tonkrug auf dem Tisch
einen Becher Wein einschenkte und seinem Freund reichte. Francesco hatte selbst
Mühe, seine Ruhe zu bewahren, zu sehr hatten ihn Emanueles eingangs hervorgestoßene
Worte erschreckt.
"Und nun erzähle mir, was passiert ist. Was ist mit
Emilia? Warum suchst du sie ausgerechnet hier, bei mir?"
"Eben
weil sie zu dir wollte. Vor drei Tagen ist sie von Rom aufgebrochen.“
Francescos
Herz verfehlte einen Schlag. "Beim Herrn“, flüsterte er. „Sie ist nie bei
mir angekommen. Aber weshalb wollte sie überhaupt zu mir?“
In wenigen
Worten unterrichtete Emanuele seinen Freund über die letzten Ereignisse: Dass
er auf Bitten des Pater General als Kurier für geheime Dokumente fungiert hatte
und, da er verfolgt worden war, es nicht besser wusste, als sie bei seiner
Schwester zu deponieren. Emilia habe mit dem Wissen um die Prophezeiung nicht
widerstehen können und das Paket geöffnet. Danach hatte sie sich mit der kostbarsten
Schriftrolle, dem Jesus-Evangelium, auf den Weg nach Viterbo aufgemacht, um sie
ihm, Francesco, zu überbringen.
„Aber warum
in Gottes Namen sollte sie das tun? Wer hat ihr nur diesen verrückten Gedanken
eingegeben?“, rief Francesco fassungslos.
„Du selbst
bist es gewesen“, klärte Emanuele ihn auf.
„Ich? Aber
wie sollte das möglich sein? Ich habe deine Schwester seit sieben
Weitere Kostenlose Bücher