Das Hexenkreuz
Serafina die Frage.
Filomena
schüttelte den Kopf. „Nein. Ich habe sie sogar hier.“
Beiläufig
zog sie einen kleinen silbernen Behälter aus ihrer Tasche. „Da ist sie. Ich
habe sie aus dem Versteck genommen, als ich das Evangelium darin verstaut habe.
Emilia hatte mich heute Nacht gebeten, ihr die Karte zu überlassen, um sie ihrem
Bruder Emanuele auszuhändigen. Sie ist inzwischen der Meinung, dass sie dem
Jesuitenorden nun doch nützlich sein könnte. Also gut!“ Kampfeslustig streckte
sie ihr Kinn vor. „Dann sollen sie eben auch die Karte haben. Was kümmert´s
mich? Lieber teile ich mit Emilia eine Zelle, als hier untätig herumzusitzen.“
Erneut sprang sie auf.
„Eure
Opferbereitschaft in allen Ehren, aber sie ist unnötig. Wir haben bereits einen
Plan, um Emilia zu befreien“, hielt Donna Elvira sie zurück
„Was kann
ich dazu tun?“, fragte sie sofort.
„Nichts,
Filomena. Wir müssen uns bis morgen früh gedulden. Erst dann wissen wir, ob
unser Plan funktioniert hat.“
„Weiht ihr
mich darin ein?“ Erwartungsvoll sah sie von Mutter zu Tochter. Die beiden
hatten tatsächlich darüber diskutiert, wie viele Mitwisser ein geheimer Plan
verkraften konnte. Am Ende waren sie zu dem Ergebnis gekommen, wenn der
russische Botschafter Prinz Galitzin davon wusste, es nur recht und billig war,
auch Filomena mit einzubeziehen.
„Gleich“,
beschied ihr Donna Elvira. „Doch zunächst… Ist das Evangelium auch sicher
verwahrt?
„Ich denke
schon. Beim Umbau der Schule habe ich eigenhändig ein Mauerversteck angelegt. Man
müsste die Schule schon Stein für Stein abtragen, um darauf zu stoßen.“
„Gut, dann
belassen wir es am besten dort. Und nun zu unserem Plan. Danach wirst du
verstehen, dass du dich vorrangig um die beiden Kinder Emilias kümmern musst.
Sie müssen von allem ferngehalten werden, egal, ob unser Plan funktioniert. Wir
bitten dich, morgen bei Anbruch des Tages, zusammen mit Ludovico und Sascha
nach Civitavecchia in Emilias dortige Residenz aufzubrechen.“
Früh am nächsten Morgen begab sich eine Kutsche mit dem
blauroten Wappen der Fürsten Wukolny zur Piazza San Pietro. Die Fenster waren
durch schmucklose Vorhänge verschlossen. Zwei Reiter hoch zu Ross eskortierten
sie. Graf Galitzin trug seine imposanteste Perücke und so viele Orden und
Schärpen, dass sein Jackett darunter beinahe verschwand. Der Cavaliere di
Stefano glänzte in einem extravaganten Gewand aus burgunderfarbenem Samt und
einem Hut mit einem ganzen Strauß wippender Federn. Die Reiter begaben sich
direkt zum Vordereingang des Apostolischen Palastes, während die Kutsche in
einiger Entfernung zum Stehen kam. „Nun gilt es, zu warten“, seufzte Serafina.
„Alles liegt nun in den Händen des Prinzen Galitzin. Denkst du denn, dass wir
uns auf seine Schauspielkünste verlassen können?“
„Mit
Sicherheit. Er ist Diplomat und Russe. Eine unfehlbare Kombination“, erwiderte
ihre Mutter trocken.
„Und was
machen wir später mit Piero? Wenn er seine Schuldigkeit getan hat, sollten wir
ihn schnellstmöglich loswerden.“
„Erwähnte
ich das nicht? Diese Aufgabe übernimmt Prinz Galitzin für uns. Er wird Piero in
die russische Botschaft einladen und ihm ein lukratives Geschäft vorschlagen.
Am Abend folgt dann ein russisches Kosakenfest. Der Botschafter hat mir versprochen,
dass Piero erst in drei Tagen wieder nüchtern sein wird.“
Serafina
musterte ihre Mutter. „Du hast wieder einmal an alles gedacht“, stellte sie
bewundernd fest.
„Da wir
ohnehin auf einer Woge des Schicksals schwimmen, möchte ich möglichst wenig dem
Zufall überlassen. Doch sieh, dort tut sich was!“ Elvira hatte die ganze Zeit
über durch einen Spalt im Vorhang das Geschehen draußen verfolgt.
Tatsächlich
war Piero auf der Treppe zwischen den beiden reglosen Schweizer Wachen in ihren
gelb, blau und rot gestreiften Uniformen erschienen. Er zeigte dem Kutscher nun
durch heftiges Gestikulieren an, sofort vorzufahren. Die beiden Frauen versuchten
in Pieros Gesicht zu lesen, ob ihr riskanter Plan gelungen war. Leider erlaubte
seine staatstragende Miene eine vielfältige Interpretation.
Nun lief der
Cavaliere die Treppe hinab und öffnete eigenhändig den Schlag der Kutsche.
Seine Stimme troff vor Bedeutungsschwere, als er ihnen verkündete: „Meine arme
Schwester ist tot. Sie haben sie ermordet. Der Botschafter und ich konnten
durchsetzen, ihren entseelten Leib sofort mit uns nach Hause zu nehmen. Seht…“
In der
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