Das Hexenkreuz
Monaten nicht
mehr gesprochen.“
„Hast du
nicht bei Eurem letzten Gespräch davon gesprochen, wie sehr dir der Halt im
Glauben fehlt? Dass du Zeit benötigst, um deinen Glauben zu erforschen? Meine
Schwester liebt dich so sehr, dass ihrem Bestreben nur eines gilt: Dein innerer
Frieden. Sie wollte dir mit diesem Evangelium deinen Glauben zurückbringen.
Hier, lies das!“ Er zog ein zerknittertes Stück Papier hervor und reichte es
ihm. Es war der kurze Brief, den Emilia Serafina als Erklärung zurückgelassen
hatte. Emanuele hatte ihn eingesteckt. Francesco hielt ihn an die Kerze und
las. Danach ließ er das Papier sinken. Liebe muss großzügig sein ,
formten seine Lippen lautlos. Erschüttert sank Francesco neben seinem Freund
auf die Pritsche. „Sie ist fürwahr ein verrücktes Weib, deine Schwester“, sagte
er dann kopfschüttelnd. „Sie schafft uns, oder?“ Mit einer beinahe ohnmächtig
anmutenden Geste fuhr er sich durch den dichten dunklen Haarschopf. „Dann ist
die Legende also wahr? Es existiert eine Schrift aus Jesus´ eigener Hand?“
Emanuele
nickte.
„Aber wo ist
Emilia dann, wenn sie nicht hier ist?“
Sie sprachen
es nicht aus, obwohl beide dieselbe Befürchtung teilten: Dass der Feind Emilia
mit dem geheimen Dokument aufgegriffen haben könnte.
"Ich
habe letzte Nacht von Emilia geträumt, Francesco. Sie hat geschrien und ihre
Hände haben sich nach mir ausgestreckt. Alles um sie herum war Blut und Feuer.
Etwas Schreckliches muss ihr zugestoßen sein! Ich weiß es, und es ist allein
meine Schuld. Wie konnte ich nur auf die fragwürdige Idee kommen, das Päckchen
ausgerechnet bei ihr zu deponieren? Aber wem in Rom konnte ich sonst vertrauen?
Du warst nicht da. Ich konnte doch mit den Dokumenten nicht ewig umherirren“,
bezichtigte sich Emanuele und barg sein Gesicht in den Händen.
"Gott
ist unser Zeuge, Emanuele. Du hättest es nicht verhindern können. Wenn sich
deine Schwester einmal etwas in den Kopf gesetzt hat, dann kann nichts und
niemand sie aufhalten. Ihr Wille setzt uns matt." Francesco mühte sich
seiner Stimme Festigkeit zu verleihen.
"Aber
was sollen wir jetzt tun? Wir müssen sie suchen." Emanuele sprang auf und
stürzte zur Tür. Francesco hielt ihn beinahe gewaltsam zurück: "Ruhig
Blut, Bruder. Du ahnst es längst, ich liebe deine Schwester nicht weniger als
du, aber wir dürfen jetzt nicht den Kopf verlieren.“
"Aber
es muss doch etwas geben, das wir tun können? Am besten, ich reite sofort
zurück und spreche mit Ricci.“ Emanueles Augen leuchteten bei dem Gedanken auf,
zur Errettung seiner Schwester beizutragen.
„Nein, das
wirst du nicht tun.“ Energisch packte Francesco seinen Freund an den Schultern
und zwang ihn, ihm direkt in die Augen zu sehen: „Lass Ricci aus dem Spiel,
hörst du? Der Pater General hat selbst viel zu viel zu verlieren. Er würde dir
nicht helfen, selbst wenn er es könnte oder wollte. Außerdem wissen wir bisher
nicht, was Emilia genau zugestoßen ist. Vielleicht hat sie irgendwo eine
falsche Abzweigung genommen und du hast sie einfach nur unwissentlich überholt.
Wir dürfen die Hoffnung nicht aufgeben“, beschwor er seinen Freund.
Emanuele
schloss die Augen. “Aber was ist mit meinem Traum?“
„Denk jetzt
nicht daran. Viel zu oft machen sich die Dämonen unseren Schlaf zunutze, doch selten
bewahrheiten sich deren Einflüsterungen.“ Francesco hatte eindringlich
gesprochen. Obwohl ihn der Gedanke an Emilias unbekanntes Schicksal beinahe
selbst um den Verstand brachte, wollte er seinem Freund unbedingt Zuversicht
einflößen. „Es ist spät, Emanuele. Du bist müde und hungrig. Ich gehe und
versuche etwas zu essen für dich aufzutreiben. Danach ruh` dich eine Weile
aus.“ Mit einer väterlich anmutenden Geste legte er seinem Freund die Hände auf
die Schultern und drückte ihn auf die schmale Schlafstatt hinab.
Bevor er die
Zelle verließ, warf er einen kurzen Blick auf das winzige vergitterte Fenster.
„Der Tag
bricht bald an, Emanuele. Er wird uns Klärung bringen. Vor allem… Hab`
Vertrauen in Gott.“
Gott ließ sie nicht lange im Unklaren. Zum zweiten Mal in
dieser Nacht wurde der alte Küster unsanft aus dem Schlaf gerissen. Unwirsch
vor sich hin brummelnd, schlurfte er zum Tor. „Wer da?“
Grigorowitsch
nannte seinen Namen und fügte an: “Ich bringe wichtige Nachrichten für den
Pater Colonna. Öffnet mir, Väterchen, denn es geht um Leben um Tod.“
„Was denn,
was denn“, knurrte der Alte missmutig.
Weitere Kostenlose Bücher