Das Hexenkreuz
„In all den Monaten interessiert sich
niemand für unseren Gast und nun treffen sie gleich in Scharen ein.“
Kaum hatte
er den eisernen Schlüssel im Schloss gedreht, wurde die Pforte aufgestoßen und
der magere Küster fand sich einem wahren Riesen gegenüber. Vor Schreck wäre er
beinahe hintenübergekippt.
„Sachte,
sachte, Väterchen“, sagte Grigorowitsch mit einem Organ, dass es dem Mönch in
den Ohren dröhnte.
„Grigorowitsch?
Seid Ihr das etwa?“ Der Mann, der diese Worte gerufen hatte, hielt in der
Linken eine Laterne und balancierte mit der Rechten einen Teller mit Brot und
Käse. Die Augen des Russen leuchteten auf. „Aber da ist ja der Principe, welch
ein Glück. Euch suche ich“, rief er abermals dröhnend.
„Schscht,
Meister Grigorowitsch, Ihr weckt ja das ganze Kloster auf. Es ist gut, Bruder
Anselmo. Ihr könnt Euch wieder zur Ruhe begeben. Ich werde mich um den Besucher
kümmern.“
Erleichert
schlurfte der Küster davon, nicht ohne den vollen Teller mit einem gewissen
Vorwurf betrachtet zu haben.
Grigorowitsch
erlöste die beiden jungen Männer aus dem Ungewissen über Emilias Schicksal, nur
um sie gegen neue, kaum minder beunruhigende Sorgen einzutauschen.
„Die Fürstin
wurde also verhaftet“, wiederholte Francesco. „Immerhin wissen wir jetzt, was
mit ihr geschehen ist und können entsprechend agieren. Ich werde meinen Vater
um Hilfe bitten. Er ist sowohl mit dem russischen wie auch dem spanischen
Botschafter gut bekannt. Beide Männer können Einfluss auf den Papst nehmen. Wir
brechen beim ersten Tageslicht auf. Bis dahin ruht euch aus. Ich sorge
inzwischen für frische Pferde. Eure eigenen werden Ruhe nötig haben.“
Noch vor dem
ersten Sonnenstrahl erhoben sie sich. Der Julitag war glühend heiß angebrochen.
Die Hufe ihrer Pferde donnerten auf der alten römischen Via Cassia Rom
entgegen.
Am Morgen
des dritten Tages erreichten sie die Stadt. Kurz vor der Via del Corso trennten
sich ihre Wege. Emanuele und Grigorowitsch hielten auf die Villa Meraviglia zu,
während sich Francesco direkt in den Palazzo Colonna an der Piazza SS. Apostoli begab. Zu seiner Enttäuschung befand sich sein Vater nicht in
Rom, sondern in seiner Sommerresidenz in Tivoli. Etwas Ähnliches hatte er
bereits vermutet. Wohin sollte er sich als Nächstes wenden?
Francesco
fasste einen Entschluss: Anstatt Emanuele zur Villa Meraviglia nachzufolgen,
schickte er ihm einen Boten mit der Nachricht, dass sich sein Vater nicht in
Rom aufhielt. Darum würde er nun selbst dessen Kontakte aufsuchen und die
Beziehungen der Familie Colonna beim russischen und spanischen Abgesandten spielen
lassen.
„Wo nur Francesco so lange bleibt?“, äußerte sich Emanuele am
frühen Abend zunehmend besorgt. Der Bote hatte zwar die Nachricht des jungen Colonna
überbracht, doch das war vor vielen Stunden gewesen. Die Geschwister hielten
sich in Emilias Zimmer auf. Die Beisetzung des Sarges - mit Steinen beschwert -
war am Vormittag mit allem Prunk begangen worden. Die letzten kondolierenden
Besucher hatten den Palazzo eben erst verlassen.
Serafina und
Donna Elvira hatten sich seit dem Morgen in einer Art Dauerwache in der
Empfangshalle abgewechselt, damit niemand Emanuele versehentlich mit dem
Worten: „Eure Schwester ist leider verschieden und wurde heute zu Grabe
getragen“, empfangen konnte. Vor ungefähr einer halben Stunde hatte sich dann
auch Pater Baptista erneut in der Villa Meraviglia eingefunden. Emilia hatte
die Gelegenheit ergriffen und Emanuele in dessen Beisein die Schatzkarte der
Inkas und die Originalschriftrolle des Jesus-Evangeliums übergeben. Dies war
möglich geworden, da Filomena rechtzeitig - ohne die Kinder - aus Civitavecchia
zurückgekehrt war, um an der inszenierten Beerdigung der Fürstin Wukolny
teilzunehmen.
Gleich nach
der feierlichen Beisetzung hatte sie sich aufgemacht, um das Evangelium zu
holen. Ta-Seti und zwei bis an die Zähne bewaffnete Diener hatten sie
begleitet, doch die Gruppe war unbehelligt geblieben.
Emilia
leistete anlässlich der Übergabe nochmals inständig Abbitte bei Pater Baptista,
dass sie das Päckchen mit den Schriftrollen unerlaubt geöffnet hatte. Sie bat
auch Ihren Bruder erneut um Verzeihung.
„Ich kann
Eure Handlung nachvollziehen, meine Tochter“, erteilte ihr Pater Baptista
großzügig Absolution. „Angesichts der Tatsache, dass Ihr bei Eurer Geburt Gegenstand
einer weitreichenden Prophezeiung wurdet, war die Verlockung einfach zu groß.
Das Wissen
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