Das Hexenkreuz
kommst. Du hast viel Blut verloren.“
Ein
monströser Schatten zeichnete sich an der Wand der Steintreppe ab und ihre
Köpfe fuhren erschrocken herum. Er entpuppte sich als Grigorowitsch. Er hatte
sich einen riesigen Seesack aus gegerbtem Seehundfell über die rechte Schulter
gewuchtet.
„Na, wer
sagt es denn?“, brummte Donna Elvira. „Sobald nur der Hauch von etwas Essbarem
durch das Haus weht, scheint dieses Urvieh von Mensch nicht weit zu sein. Er
muss über einen bemerkenswerten Geruchssinn verfügen ...“ Sie meinte dies
durchaus wohlwollend und füllte bereits eine Schale mit der Suppe. Der Riese
setzte sie an seine Lippen und trank sie in einem Rutsch aus, ungeachtet
dessen, dass sie fast noch brodelte und er sich die Zunge verbrannte. Mit einem
zufriedenen Seufzen stellte er die Schale ab. Ein Stück Brot, so groß wie ein
halber Laib, verschwand anschließend in seinem Mund.
„Wie sollen
wir Emilia unbemerkt an Bord schaffen?“, überlegte Emanuele laut.
„Ich glaube,
ich habe da eine Idee“, bemerkte Donna Elvira, deren Augen seit einer Weile
interessiert den gewaltigen Seesack des Russen maßen. Emilia folgte ihrem
Blick. Es fiel ihr leicht, Elviras Gedanken nachzuvollziehen. „Oh nein“, rief
sie entsetzt. „Ich werde mich ganz sicher nicht da hineinstecken lassen.
Niemals!“
Eine gute Stunde später legte Grigorowitsch seinen Seesack vorsichtig
in der Kapitänskajüte ab. Unter den ungläubigen Augen des spanischen Kapitäns
der Cassiopeia, entstieg diesem eine reichlich zersauste Emilia. Sie nieste, streckte
sich dann ausgiebig und sog genussvoll den Geruch der Kabine ein, in der sich
Tabak, Salz, Tang und Zedernholz zu einem nicht unangenehmen Gemisch zusammenfanden.
Viel besser jedenfalls als die muffige Absonderung des alten Seehundfells, das
sie fast erstickt hatte. Paridi, der ihnen gefolgt war, inspizierte bereits mit
hoch erhobenem Schwanz die Kabine. Kapitän Morales sah das Tier böse an.
Dann besann
er sich seiner Erziehung und begrüßte die Schiffseignerin an Bord. Seine Worte
waren ausgesucht höflich, Ton und Blick waren es nicht. Emilia war es einerlei.
Die Missbilligung des Spaniers war sein Problem, nicht ihres. Sie
verabschiedete ihn kurzangebunden, in dem sie vorgab, sich in Ruhe einrichten
zu wollen. Ihr Gepäck, von Donatus an Bord geschmuggelt, erwartete sie bereits
in der Kabine. Grigorowitsch reagierte enttäuscht, als sie auch ihn bat, sie zu
verlassen. Verdrossen stampfte er hinaus.
Ungeduldig
stürmte Emilia sofort zu einem der beiden Bullaugen, die ihr den Blick zur Mole
gestatteten. Deren steinerne Umrisse waren im Mondlicht gut zu erkennen. Sie
hatte nicht vor, diesen Aussichtsposten auch nur für eine Sekunde zu verlassen.
Die Stunden vergingen. Noch vor dem ersten Morgengrauen erwachte der Hafen zum
Leben. Händler, Marktweiber, Matrosen, Soldaten, Kaufleute, junge Herumtreiber
und Damen von zweifelhaften Ruf, kurzum, das übliche Hafenvolk begann sein
Tagwerk. Bald hallte der Hafen von ihren lauten Rufen wider.
Im ersten Morgenlicht
setzte sofort ein reger Ruderbootverkehr zwischen Hafen und den Schiffen ein,
die weiter draußen vor Anker lagen. Mit hungrigen Augen sog Emilia das bunte
Treiben in sich auf, für sie der erste Vorgeschmack von Freiheit und Abenteuer.
Auch die Cassiopeia erfreute sich eines regen Austauschs. Ein untersetzter
Händler lieferte mehrere Fässer Rum an, die unter großem Gejohle der Mannschaft
an Bord geschafft wurden. Auch kehrten nun diejenigen Matrosen zurück, die
vergangene Nacht Landurlaub hatten. Die meisten trieften vor Wasser, als hätten
sie ihren Kopf in ein Becken getaucht. Diese Maßnahme diente der raschen
Ausnüchterung und weniger der Hygiene, hatte aber denselben Effekt. Ein blasser
junger Mann in einem schwarzen Gewand trottete eben an Bord. Er erregte Emilias
Aufmerksamkeit, weil sein strenger Aufzug nicht so recht in das bunte Bild
passen wollte. Darüber hinaus klemmte ein Kontobuch von den Ausmaßen eines
Pflastersteins unter seinem Arm. Ein älterer Gardist, angetan mit der Uniform
des Vatikanstaates, begleitete ihn und verlieh dem Besuch einen amtlichen
Anstrich. Während sich Emilia noch beunruhigt fragte, was die Männer wohl an
Bord wollten, verließen die beiden das Schiff schon wieder. Kaum aber hatten sie
die Cassiopeia verlassen, wurden an Bord Befehle laut und die Mannschaft
verfiel in geschäftige Unruhe. Überall über ihrem Kopf waren plötzlich
trappelnde Füße zu vernehmen und das
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