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Das Hexenmal: Roman (German Edition)

Das Hexenmal: Roman (German Edition)

Titel: Das Hexenmal: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deana Zinßmeister
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Feuerhölle zu retten.
    »Wir alle haben eine Kette von der Pferdetränke bis zur Scheune gebildet und die gefüllten Wassereimer nach vorne zum Feuer durchgereicht … Der junge Schönemann und der Sohn vom Schmied haben sich nasse Decken umgehängt und wollten sich sogar durch die Flammen kämpfen, um Clemens zu retten, doch die Feuerwand und der Rauch haben sie zurückgedrängt … Als wir einen entsetzlichen Schrei hörten, wussten wir, dass es zu spät war und wir ihn nicht mehr retten konnten. Es tut uns so leid!« Weinend schlug Peter die Hände vors Gesicht.
    Anna versuchte stark zu sein, doch als ihr Mann ihr die Hand auf die Schulter legte, sank sie auf die Knie und schrie laut auf.
    Münzbacher tat besorgt und half ihr wieder auf die Beine. Dann führte er sie ins Haus und flößte ihr einen Sud ein, der, wie er sagte, sie beruhigen würde.
    Erschöpft von der Reise und dem Schock legte sich Anna hin und schlief bis zum nächsten Tag – den grünen Stein zwischen ihren kalten, verkrampften Fingern.

    Anderntags wurde die verkohlte Leiche Clemens’ in allen Ehren bestattet. Fast ganz Dingelstedt hatte sich auf dem Friedhof eingefunden. Anna war es, als sei sie weit weg. Sie starrte in das Grab vor sich und fühlte keinen Schmerz. In ihr war nur Leere. Schon vor dem Frühstück hatte Wilhelm ihr wieder von dem Beruhigungssud gegeben. Das Mittel erinnerte sie an die dunkle Flüssigkeit, die ihr der Alte im Wald eingeflößt hatte, zumal es genauso bitter schmeckte.
    Der Sud gab Anna das Gefühl zu schweben, und sie glaubte, die Beerdigung von einer Wolke aus mit anzusehen.
    Man hatte ihr nicht mehr gestattet, den Leichnam ihres Bruders noch einmal zu sehen, da sie Clemens so in Erinnerung behalten sollte, wie sie ihn zuletzt erlebt hatte.
     
    Wenn Anna an Clemens dachte, dann sah sie ihn mit einem breiten Lachen vor sich stehen, und seine tiefblauen Augen strahlten sie an. Seine Haare waren vom Wind zerzaust, und mit beiden Händen strich er sie sich aus dem Gesicht.
    Erst jetzt, da sie ihn für immer verloren hatte, wusste sie, wie tief ihre Liebe für den Bruder gewesen war.
    Während die Menschen ihr die Hand schüttelten und ihr Beileid aussprachen, hielt Anna den grünen Stein umklammert, in der Hoffnung, er würde ihr Kraft geben.
    Trotz der vielen Leute auf dem Friedhof, fühlte sie sich mutterseelenallein – alleingelassen von allen Menschen, die ihr einmal nahegestanden hatten. Anna glaubte, die Einsamkeit würde sie erdrücken. Sie spürte, wie sich die Enge in ihrem Hals wieder ausbreitete und musste sich unentwegt räuspern.
    Die junge Frau ahnte, was das bedeutete. Sie war wieder gefangen. Eingesperrt in ein Wesen, das kraftlos, ängstlich und nun auch noch völlig allein war.
    ›Alles Lüge‹, schrie ihre innere Stimme. ›Nichts von dem, was ich in meinem Traum gesehen habe, ist wahr geworden. Es waren nur Wunschgedanken. Die neue Anna ist ebenso schwach wie die alte‹, dachte sie bitter.
    Als Münzbacher sie am Arm fasste, um sie vom Grab wegzuführen, warf sie den kleinen grünen Stein ins dichte Gebüsch und folgte wortlos ihrem Mann.
    In der Nacht sah sie im Traum, wie sich langsam die Käfigtür schloss und eine schwache Löwin sich kampflos in die hinterste Ecke ihres Gefängnisses verkroch.

    Anna blieb die meiste Zeit des Tages über im Bett. Der Einzige, der sie besuchte, war ihr Mann. Er gab ihr zu essen und flößte ihr immer wieder den Sud ein, was sie ohne Gegenwehr geschehen ließ. Erst zwei Tage nach der Beerdigung sah sie die verkrusteten Kratzspuren an seinem Hals. Auf ihre Frage, woher diese stammten, erklärte er: »Die hat mir ein junger Knecht zugefügt, als wir versucht haben, deinen Bruder zu retten. Aber er konnte nichts dafür, da alles sehr schnell gehen musste. Wir haben zusammen einen Balken gehoben, und der Knecht rutschte mit der Hand ab, und da war es passiert. Glaube mir, meine Liebe, ich hätte mir gern das Gesicht zerkratzen lassen, wenn wir ihn dadurch hätten retten können …« Verzweiflung klang aus seiner Stimme, und Anna streichelte mitfühlend seine Hand. Kraftlos
antwortete sie: »Dafür möchte ich dir danken, und ich danke auch unserem Herrn, dass er dich verschont hat. Denn jetzt habe ich nur noch dich.«
     
    Wäre Annas Bewusstsein durch den Sud nicht so getrübt gewesen, hätte sie Münzbachers heuchlerischen Blick zu deuten gewusst.
    Nachdem er ihr eine weitere Tasse des Beruhigungstrunks verabreicht hatte, legte Anna sich zurück auf

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