Das Hexenmal: Roman (German Edition)
durch den Raum schweifte, traute sie
ihren Augen nicht. In der hintersten Bank in eine Ecke gepresst, glaubte sie den jungen Mönch vom Vortag wiederzuerkennen. Katharina bekreuzigte sich und setzte sich unweit von ihm nieder. Der junge Mann schien sie nicht bemerkt zu haben, denn er betete stumm weiter.
Immer wieder schielte das Mädchen zu ihm hinüber. Als die Leute zwischen ihnen ihren Platz verließen, rutschte Katharina neben den Mönch.
»Ich habe noch nie einen so gläubigen Dieb gesehen«, wisperte sie. Erschrocken blickte der Mönch auf. Als er sie erkannte, schaute er sich ängstlich um.
»Keine Angst! Dein Freund Servatius ist nicht hier«, beruhigte sie ihn.
»Servatius ist nicht mein Freund, und ich bin kein Dieb. Ich habe nichts Unrechtes getan!«
»Ach nein?«, fragte Katharina. Burghard blickte ihr nun in die Augen und erklärte ernst: »Die Lehre des Franz von Assisi verbietet alle weltlichen Güter. Nur das, was ich auf dem Leib trage, gehört mir. Franz von Assisi lehnte nicht nur den Besitz, sondern sogar die bloße Berührung mit Geld ab. Außerdem bete ich nicht für mich, sondern für meinen Bruder Servatius, damit er wieder zurück auf den rechten Weg findet.«
Katharina war für einen Augenblick sprachlos. Solche inbrünstigen Worte über die Lehre der Franziskaner hatte sie von Servatius nicht vernommen. Auch dass der junge Mann dem älteren anscheinend nichts nachtrug und sogar für ihn betete, verblüffte sie. Sagte der junge Mönch etwa doch die Wahrheit, und er war gar kein Dieb? Täuschte sich Servatius womöglich in seinem Verdacht?
»Wenn du unschuldig bist, warum gehst du dann nicht zu Servatius und klärst die Angelegenheit auf?«, flüsterte Katharina, um die Betenden nicht zu stören. Burghard schüttelte heftig den Kopf.
»Du kennst ihn nicht so gut wie ich. Er wird mir nicht glauben. Für ihn bin ich schuldig, da er mir alles Schlechte zutraut, obwohl ich nie etwas Böses getan habe … Er hasst mich, und das vergiftet seine Seele. Deshalb bete ich für ihn und hoffe, dass er in den Schoß unseres Schöpfers zurückfindet.«
Wieder ließen die frommen Worte das Mädchen aufhorchen. Dieser Bursche, der nicht viel älter war als sie, schien ähnlich zu denken. Sie war beeindruckt, dass er seinen Glauben leben und nicht heucheln wollte. Spontan fragte sie: »Kennst du die heilige Elisabeth?«
»Was für eine dumme Frage! Natürlich nicht, sie ist schon lange tot. Aber ich habe von ihrem Leben und Wirken gehört. Ich verehre sie, da sie eine wohltätige Frau war. Das böse Geschwätz über sie lasse ich nicht gelten. Es war ein Franziskanermönch, der ihr half, ihren Glauben zu Gott zu finden, als sie unglücklich mit ihrem Leben in Reichtum war und …«
Katharina hörte ihm nicht mehr zu. Ihr Herz raste. Da war jemand, der genauso empfand wie sie. Schon am Tag zuvor hatte der verkleidete Mönch sie angezogen, und jetzt wusste sie, was es war, das sie verband – ihr tiefer, ehrlicher Glaube.
Katharina blickte nach vorne zum Kreuz mit der Christusfigur am Altar. Irgendetwas hielt ihren Blick gefangen. Plötzlich hatte sie das Gefühl, als ob ein Schleier vor ihrem Gesicht weggezogen würde. Erschrocken zuckte sie zusammen, denn sie erkannte klar und deutlich ihren Weg.
Burghard war das nicht entgangen, und er fragte bestürzt: »Geht es dir nicht gut?«
Lächelnd erwiderte sie: »Mir ging es noch nie so gut wie in diesem Augenblick!«
»Soll ich nicht einen Arzt holen, Franziska? Auf dem Hülfensberg ist sicher einer, der dir helfen kann.«
Unterhalb der Kapelle, versteckt hinter dichten Fichten, hatten Johann und Franziska erneut ihr Lager aufgeschlagen, da es ihr noch immer nicht besser ging. Sie hofften, dass sie hier ungestört blieben und beschlossen, so lange zu ruhen, bis Franziska wieder genesen war.
»Nein, Johann, das wird nicht nötig sein. Mir ist sicherlich das Essen gestern nicht bekommen. Mir geht es bald besser.« Matt legte sie sich zurück auf das Lager, das Johann aus trockenen Blättern aufgehäuft hatte.
»Es ist bereits später Mittag, und du hast seit gestern nichts gegessen … Ich werde dir etwas Bekömmliches bringen.«
Als Franziska die Sorge in Johanns Augen erkannte, nickte sie stumm. Johann versprach, rasch zurück zu sein, und war froh, endlich etwas für seine Frau tun zu können. Zwar hatte er seit dem Erwachen ihre Hand gehalten, sie gestreichelt und getröstet, doch besser wurde ihr dadurch nicht. Jetzt wollte er Milch und
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