Das Hexenmal: Roman (German Edition)
zu erhören. Zwar konnte Katharina verstehen, dass die Schwester ihre Kinder nach ihrem Tod gut versorgt wissen wollte. Dass sie sich aber von ihrem Mann dazu hatte überreden lassen, ihrer jüngeren Schwester dieses Versprechen abzunehmen, ohne ihr eine Wahl zu lassen, konnte sie der Toten nicht nachsehen.
Natürlich fühlte sich Katharina für ihre kleinen Neffen verantwortlich. Aber sie liebte die Buben wie eine Tante und nicht wie eine Mutter. Den neugeborenen Fritz, der heute bei seiner Amme geblieben war, hatte Katharina besonders ins Herz geschlossen. Er tat ihr leid, denn ihm war es nicht vergönnt gewesen, von seiner Mutter geliebt und umsorgt zu werden. Zwar würden auch die beiden älteren Jungen später kaum eine Erinnerung an ihre Mutter haben, doch ihnen hatte Silvia wenigstens für kurze Zeit ihre Liebe schenken dürfen.
Bei diesem Gedanken schluchzte Katharina laut auf. Seit der Stunde, in der Silvia ihre Augen für immer geschlossen hatte, war nicht zu leugnen, dass sie tot war, doch erst in diesem Moment wurde Katharina bewusst, dass sie für immer von ihnen gegangen war.
»Wir wollen das Glas auf meine verstorbene Frau erheben«, rief Otto zu vorgerückter Stunde aus und hielt seinen Weinkelch in die Höhe.
Der Genuss von unzähligen Gläsern Alkohol hatte seine Augen glasig werden lassen, und seine Zunge formte nur noch schwer die Worte.
»Ja, lasst uns auf Silvia anstoßen. Möge ihre Seele in Frieden ruhen«, stimmte Theo Hofmeister zu, der Nachbar der Jacobis. Seine Frau nickte mit Tränen in den Augen. Auch ihre Wangen waren vom ungewohnten Weingenuss gerötet.
»Die armen Kinder. Nein, nein, wer wird sich nun um die armen Kleinen kümmern? Barbara, nun ist deine Großmutterliebe gefordert. Du wirst Silvias Stelle einnehmen müssen …«, tat Walburga Schmitt ihre Meinung kund.
»So weit wird es nicht kommen. Es wäre das Letzte, was ich mir wünschen würde«, lallte der Witwer.
»Aber, Otto, du kannst dich glücklich schätzen, dass du im Hause deiner Schwiegereltern ein Heim für dich und die Buben gefunden hast. Hier sind deine Kinder in den besten Händen.«
»Dummes Zeug, mach du dir darüber nur keine Gedanken, meine liebe Walburga, ich weiß, was ich zu tun habe.«
Dabei sahen seine geröteten Augen zu Katharina, die von Gast zu Gast ging und Pasteten reichte. Walburga Schmitt folgte Ottos Blick. Bevor sie jedoch etwas sagen konnte, fing sie den zornigen Blick von Barbara Jacobi auf, mit dem diese ihren Schwiegersohn zu strafen schien. Es war unschwer zu erkennen, dass Barbara versuchte, sich zusammenzunehmen. Sie hatte kaum gesprochen und weder etwas gegessen noch etwas getrunken.
Wieder sah Walburga zu Katharina, dann zu Otto und zu Barbara. Gab es hier etwas, das sie noch nicht wusste? Sie war plötzlich hellwach und beobachtete aufmerksam das Geschehen um sich herum. So viel Wein hatte sie nicht getrunken, um nicht zu spüren, dass hier irgendetwas nicht stimmte. Sollte Otto etwa …? Aufmerksam sah sie zu Katharina und bemerkte erst jetzt, dass das Mädchen ihrem Schwager aus dem Weg ging. Als er ihr eine Pastete aus der Hand nahm und sich ihre Finger berührten, zuckte Katharina zusammen, als ob sie ein heißes Stück Eisen angefasst hätte. Von den übrigen Gästen blieb
dies unbemerkt, aber Walburgas wachen Augen war es nicht entgangen. Was konnte das bedeuten? Sie musterte Otto. Die kleine rundliche Frau fand, dass er ein ansehnlicher Mann war. Groß, schlank, mit hellen Haaren und Augen, die so blau wie Eis in einem zugefrorenen Teich waren. Zuweilen konnten sie auch genauso kalt und unpersönlich wirken. Umrahmt wurden diese hellblauen Augen von fast weißen Wimpern und ebenso hellen Brauen.
Otto kam aus einer angesehenen Familie. Jeder im Ort, der eine Tochter im heiratsfähigen Alter hatte, würde sich über solch einen ansehnlichen Schwiegersohn freuen. Hätte er ihre Tochter ausgewählt, wäre Walburga nicht abgeneigt gewesen, wenn Gudrun Silvias Platz eingenommen hätte.
Walburga Schmitt wusste auch, dass ihre Nachbarin den Schwiegersohn nicht sonderlich mochte. Barbara vermied es, über ihn zu reden. Kam das Gespräch dennoch auf Otto, dann veränderte sich ihr Blick von einem Moment zum anderen. Ablehnend wirkte er und manchmal sogar mit Hass erfüllt.
Als Walburga ihr Glas zum Mund führte, lachte sie in sich hinein. Sie ahnte, was sich bei den Nachbarn zusammenbraute. Bevor sie zum Trinken ansetzte, achtete sie sorgfältig darauf, dass sie sich
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