Das Hexenmal: Roman (German Edition)
dass ihr Mann sich von ihr fernhielt, erfüllte ihn mit unbewusster Genugtuung. Bevor er aufstand, fand er Worte des Trostes: »Gib dir keine Schuld, Anna. Du hast übereilt gehandelt, statt dich und ihn zu prüfen. Wer will es dir verübeln? Es waren die schrecklichen Umstände, die dich verwirrten. Sprich mit Clemens darüber. Er ist dein Bruder und wird immer zu dir stehen.«
Sie nickte. Ja, Clemens. Mit ihm würde sie darüber reden. Viel zu lange hatten sie sich gegrollt, anstatt zusammenzuhalten, so, wie es ihre Eltern gewünscht und erwartet hätten. Ihre Stirn, die sich vor Kummer gekräuselt hatte, entspannte sich, und Anna sah Friedrich befreit lächelnd an. Sie glaubte sogar für einen kurzen Augenblick zu spüren, wie sich die Enge in ihrem Hals löste.
»Danke!«, flüsterte sie und nahm Friedrichs Hand. Nur zögernd gab sie diese wieder frei, als er aufstand, um zu gehen. An der Tür drehte sich der junge Mann noch einmal um und zwinkerte ihr liebevoll zu.
Als Friedrich die Tür von außen geschlossen hatte, lehnte er sich einen kurzen Augenblick dagegen. Es war ihm unbegreiflich, weshalb sich Wilhelm Münzbacher seiner jungen Frau gegenüber so abweisend verhielt.
Gab es da etwas, was er nicht erkennen konnte? Vielleicht sollte auch er mit Clemens sprechen. Nachdenklich verließ der junge Arzt das Haus.
Im Hof blickte er zu dem Fenster hinauf, hinter dem sich Annas Zimmer befand. Seine Hand umfasste den kleinen spitzen Gegenstand in seiner Jackentasche, als er über den Hof auf die Straße trat.
Anna rutschte tiefer unter die Bettdecke. Entspannt schloss sie die Augen. Friedrich hatte sie zum ersten Mal nicht nach dem Lied gefragt, dachte sie traurig. Brauchte er auch nicht, haderte sie mit sich selbst, schließlich war sie bereits verheiratet. Ach, hätte sie doch nicht auf dieses alberne Spiel mit der Drachenschuppe bestanden, sondern ihm damals gesagt, dass sie auf ihn warten würde. Wie viel einfacher wäre ihr Leben, wenn sie ihn an ihrer Seite wüsste. Doch nun war es zu spät. Oder vielleicht doch nicht? Anna beschloss, über Friedrichs Worte in Ruhe nachzudenken.
›Zuerst‹, überlegte sie, ›werde ich einige Tage zu meiner Base nach Erfurt reisen. Und nach meiner Rückkehr mit Clemens sprechen. Zusammen mit meinem Bruder werde ich vielleicht eine Lösung finden.‹
Voller Hoffnung sah sie dem Gespräch mit Clemens entgegen, nicht ahnend, dass es dazu nicht mehr kommen sollte.
Kapitel 8
Langsam senkte sich der Sarg in das dunkle Erdloch. Katharina hatte den kleinen Hannes auf dem Arm. Der Zweijährige verhielt sich so ruhig, als begreife er, dass dies ein trauriger Moment war. Stumm wischte er mit seinen kleinen dicken Kinderfingern der Tante über das Gesicht, als Tränen über ihre Wangen liefen.
Matthias, der erst seit wenigen Tagen drei Jahre alt war, stand wie ein Soldat neben seinem Vater und verzog keine Miene. Die beiden Kinder wussten nicht, wer sich in dem Sarg befand oder was diese Kiste in der Erde zu bedeuten hatte. Katharina hatte ihnen erzählt, dass ihre Mutter nun bei den Engeln sei und sie alle von dort beschützen würde. Es waren die Worte, die man von jeher zu Kindern sprach, wenn Mutter oder Vater gestorben waren.
Barbara Jacobi hatte versucht, ihre Gefühle zu beherrschen, doch damit war es in dem Augenblick vorbei, als der Sarg mit ihrer Tochter Silvia in das Grab hinuntergelassen wurde. Sie klammerte sich an den Arm ihres Mannes und schluchzte laut auf.
Ihr Mann, Albert Jacobi, tätschelte ihre Hand. Er schien in den letzten Tagen gealtert zu sein. Seine Haltung war gebeugt, seine Haare grau und seine Haut fahl. Lautlos bewegte er seine Lippen im Gebet.
Die Trauergemeinde zog an der Familie vorbei, um zu kondolieren. Ein kleiner Kreis würde sich später bei den Jacobis einfinden, um bei Wein und kleinen Speisen die Tote zu ehren und ihrer zu gedenken.
Katharina hatte ihren Schwager Otto keines Blickes gewürdigt. Zwar hatte er sie seit dem Tod ihrer Schwester in Ruhe gelassen, doch sie ahnte, dass es damit nun vorbei sein würde. Zu ihrer eigenen großen Trauer über den Verlust der Schwester
gesellte sich die Angst vor der ihr bevorstehenden Zwangsheirat – auch wenn sie erst in einigen Monaten stattfinden sollte.
Seitdem Silvia ihren letzten Wunsch auf dem Totenbett ausgesprochen hatte, hatte Katharina kaum ein Auge zugetan. In endlosen Gebeten zur heiligen Elisabeth suchte sie einen Ausweg aus ihrem Schicksal, aber die Heilige schien sie nicht
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