Das Hexenmal: Roman (German Edition)
willig auf die Pritsche gleiten und schloss die Augen. Wieder nickte der Alte und legte seine Hände ruhig an Annas Kopf. Langsam glitt die linke Hand zur Stirn, während die rechte an ihrer Halsseite ruhte. Sein Blick haftete zwar auf Magdalena, doch seine blinden Augen schauten durch sie hindurch. Leise murmelte er unbekannte Worte. Dann sagte er: »Du darfst die Löwin nicht einsperren, mein Kind. Sonst wird sie zugrunde gehen. Öffne ihre Käfigtür. Ich weiß, dein Weg gabelt sich, und du bist im Zweifel, welchen du nehmen sollst. Kennst du nicht bereits selbst die Antwort?«
Seine Hand wanderte langsam über die ihre, während er leise murmelte.
»So viel Gift in deiner Seele. So viele schlechte Worte, die dich zerstören wollen. Lass sie heraus, und schlucke den Unrat nicht länger hinunter. Ich werde dir einen Saft zu trinken geben, der dir hilft, klarer zu sehen. Er wird dich betäuben, und dadurch hast du die Möglichkeit, in die Tiefe deiner Seele zu blicken. Denn du kennst die Antwort schon, aber du willst sie nicht zulassen. Der Mohn wird dir helfen.«
Dann nahm er ein Gefäß mit einer dunklen Flüssigkeit vom Regal.
»Seid so nett und greift auf das obere Fach und nehmt das Tuch.«
Er wies mit seinem Stock zum Regal, und Beate gab ihm das Gewünschte. Er tränkte den Stoff mit der braunen Tinktur. Ein sonderbarer Geruch breitete sich im Raum aus. Dann versuchte er, Anna eine zähe Flüssigkeit einzuflößen. Sie schluckte schwer und hustete. Angewidert verzog sie das Gesicht.
»Das muss sein!«, meinte er streng.
Während der Alte fremd klingende Worte murmelte, die in einen leisen Singsang übergingen und sich schließlich zu geradezu wütend hervorgespuckten Klängen steigerten, lag Anna ruhig auf der Pritsche, als ob sie schliefe. Als er geendet hatte, hob der Alte Annas Lider mit seiner knochigen Hand und schien zufrieden, als sie sich erschlafft wieder schlossen. Er legte ihr das Tuch über das Gesicht und setzte sich auf den Rand des Bettgestells. Anna murmelte undeutliche Worte und bewegte sich unruhig hin und her.
»So ist es gut, meine Tochter, alles Schlechte fließt nun aus deinem Körper... Was haben seine Worte dir nur angetan!«, sprach der Alte. Mit seiner Hand auf ihrer Stirn murmelte er immer wieder leise Worte, die wie ein Summen klangen. Seine Augen waren geschlossen, seine Gesichtszüge verhärtet. Nur seine Pupillen hinter den Lidern bewegten sich hin und her, als ob sie Bilder verfolgen würden. Schließlich entspannten sich seine Muskeln, und ein Lächeln machte sein Gesicht weich. Als er die Augen öffnete, lachte er laut und befreit. Seine Hand suchte Annas Hand. Er umschloss sie und sprach weiter beruhigend auf die junge Frau ein, die wie im Tiefschlaf auf der Pritsche lag und seine Worte nicht zu hören schien.
»Eine schwere Last wirst du noch tragen müssen … Die kann selbst ich dir nicht nehmen. Du glaubst, dein Herz würde zerspringen.
Wenn es passiert, wirst du sterben wollen, und nichts wird dich trösten können. Doch höre gut zu, meine Tochter, du musst mir weiter vertrauen. Nichts scheint so, wie es ist! Du wirst wieder einen dunklen Wald durchschreiten müssen, wo viele Gefahren auf dich lauern. Nur dort wird dein verwundetes Herz heilen können. Böse Worte werden versuchen, dich wieder zu vergiften, doch hab keine Angst. Das Leben hält so viel Schönes für dich bereit … Und er wird dir helfen. Vertraue ihm , wie du mir vertraust … Er hat lange auf dich gewartet. Hab keine Angst, meine Tochter, die Löwin ist nun aus ihrem Käfig befreit und wird sich rächen wollen … Das ist gut so, denn er wird dir helfen!« Magdalena und Beate hatten stumm gelauscht und waren kreidebleich geworden, als sie die Prophezeiung des Alten vernahmen.
»Was meint Ihr? Was wird meine Base ertragen müssen? Könnt Ihr Anna nicht jetzt schon helfen?«, fragte Magdalena atemlos. »Und wen meint Ihr? Wer hat auf sie gewartet?« Ihre Stimme zitterte ebenso wie ihr Körper. Der Alte schüttelte sein Haupt.
»Ich sehe nicht, was passieren wird, ich kann es nur fühlen. Niemand wird ihr das abnehmen können, auch nicht der, der ihr zur Seite stehen wird. Er wird es nur lindern können. Wenn sie meinen Ratschlägen folgt, wird sie es schaffen – aber nur dann. Sie hat die Kraft dazu, und ich hoffe, auch den Willen.«
Wieder strich er Anna über die Stirn. An Magdalena gewandt, erklärte er: »Und nun zu dir, meine Tochter. Siehst du das dritte Glas auf dem
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