Das Hexenmal: Roman (German Edition)
Leben dort, und vor allem mit ihr, anders, vielleicht einfacher vorgestellt? War ihr Bruder Clemens der Schlüssel zu all dem? Wilhelm hatte schon einige Male angedeutet, dass ihr Bruder durch seinen liederlichen Lebenswandel Unruhe in ihr eigenes Leben auf dem Hof brächte. Andererseits musste sich Anna eingestehen, dass sie sich gar nicht sicher war, ob sie wollte, dass sich etwas in ihrer Ehe, und vor allem dass Wilhelm sich änderte. Unendlich viele Fragen bewegten sie, und bislang hatte sie auf keine eine Antwort gefunden.
»Hör mir zu, Anna. Für jedes Leiden gibt es ein Kraut und einen Heiler. Auch für deines!«, hatte Magdalena voller Überzeugung gesagt und ihr dabei fest in die Augen gesehen. Als Anna sich mit dem Handrücken die Tränen fortgewischt hatte und ihre Base nun fragend anblickte, rutschte Magdalena näher zu ihr, damit niemand ihre Worte hören konnte: »Durch Zufall habe ich mitbekommen, wie meine Freundin Beate ihrer
Schwester riet, einen weisen Mann aufzusuchen, weil sie sich so sehr ein Kind wünschte und einfach keines bekam. Und Beate wiederum wusste durch ihre Köchin von dem Weisen im Wald, weil deren Mann eitrige Geschwüre hatte. Er muss tatsächlich ein weiser Mensch sein, denn als Beates Schwester jeden Tag den Sud trank, den sie von dem Alten bekommen hatte, gebar sie ein Jahr später eine gesunde Tochter. Ob der Mann der Köchin geheilt wurde, kann ich nicht bezeugen. Aber da ich fest daran glaube, dass er auch Menschen wie dir helfen kann, schlage ich vor, dass wir beide ihn direkt morgen früh aufsuchen. Er wohnt außerhalb von Erfurt im Wald …«
Als Magdalena den ängstlichen Blick ihrer Base sah, tätschelte sie beruhigend die Hände der Jüngeren: »Du brauchst keine Angst zu haben. Beate wird uns begleiten. Ich habe bereits mit ihr gesprochen.«
Beate lotste den Kutscher durch enge, zum Teil zerklüftete Waldwege. Des Öfteren brummte er etwas vor sich hin, was sich anhörte wie: »Das weiß ich!« Doch Magdalena war so sehr damit beschäftigt, sich auf die holprige Fahrt zu konzentrieren, dass sie sich zu orientieren vergaß. Die Kutsche fuhr über Stock und Stein. Magdalena sowie Anna schrien einige Male laut auf aus Angst, dass die Achse brechen könnte. Beate schien die Fahrt als Einzige zu genießen, denn bei jeden Rums durch ein Schlagloch lachte sie begeistert.
»Von wegen nicht weit, Beate, wir sind mitten im Wald, und es wird immer düsterer«, klagte Magdalena, die besorgt zu Anna schielte, der kleine Schweißperlen auf der Stirn standen. Verzweifelt versuchte sich die junge Frau am Sitz festzuhalten. Magdalena rechnete ständig damit, dass sie umkehren und nach Hause zurückfahren wollte. Doch Anna blieb stumm. Nur ihre weit aufgerissenen Augen ließen ihre Angst erahnen.
Plötzlich, mitten in unwegsamem Gelände, hielt der Kutscher an.
»Meine Damen, hier kann ich nicht weiterfahren. Der Weg ist zu uneben. Ab hier müsst ihr zu Fuß gehen. Es ist nicht mehr weit. Das letzte Stück werdet ihr unbeschadet zurücklegen können. Ich werde hier auf euch warten.«
Erstaunt fragte Magdalena leise ihre Freundin: »Woher weiß er, wie weit es noch ist?«
»Na, er war schon mal hier!«
Magdalena zog eine Augenbraue hoch.
»Er ist der Mann, von dem ich dir erzählt habe … der Mann unserer Köchin. Ich fragte sie gestern Abend, ob er uns fahren könne, schließlich muss man vorsichtig sein. Er wird bestimmt nicht verraten, dass wir den Heiler aufgesucht haben. Siehst du, seine eitrigen Pusteln im Gesicht, die unansehnlichen Geschwüre, sie sind alle weg. Nicht eines ist übrig geblieben. Das ist doch wirklich wie ein Wunder!«, erklärte Beate.
Der Kutscher hatte dem Gespräch wortlos zugehört. Nun lächelte er und nickte, was Anna und Magdalena überzeugte, aus der Kutsche zu steigen und Beate tiefer in den Wald hinein zu folgen.
Das trockene Holz brach krachend unter ihren Sohlen. Hier und da blieben sie mit ihren Röcken an dornigem Buschwerk hängen. Mittlerweile war es früher Mittag, und die Sonne fand auch im dichten Wald ihren Weg durch die Baumkronen. Der modrige Boden fing an zu dampfen, und Erdgeruch stieg auf. Die unbequeme, enge Kleidung schnürte die Frauen ein, sodass ihnen der Schweiß über Gesicht und Rücken rann.
Endlich sahen sie inmitten dicker Tannen eine Holzhütte. Die Stämme schienen wie in einem Kreis um die Behausung zu stehen und sie zu beschützen. Aus einem kleinen Verschlag, der sich zwischen zwei Bäumen befand, hörte
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