Das Hexenmal: Roman (German Edition)
gleiten.
»Du wirst in der Hölle landen, weil du so oft den Gottesdienst verpasst«, erklärte sie lachend, aber mit ernsten Augen.
»Ach was! Der liebe Gott wird mich verstehen. Ich kann auch unter freiem Himmel meine Gebete sprechen. Und wenn es dich beruhigt, werde ich nächsten Sonntag wieder in die Kirche gehen.«
Johann zog sie an sich und wollte sie küssen, doch wie jedes Mal drehte sie ihren Kopf zur Seite. Enttäuscht ließ er sie los und legte sich ohne ein weiteres Wort zurück ins Gras. Mit der rechten Hand zupfte er einen neuen Halm aus und schaute kauend in den Himmel.
Franziska legte sich neben ihn. Ihre Hand rupfte unkontrolliert Grasbüschel aus dem grünen Teppich. Sie war hin- und hergerissen zwischen ihren Gefühlen. Natürlich fühlte sie sich geehrt, dass der Jungbauer ihr schöne Augen machte. Karla, die für die Wäsche zuständig war, hatte sie als dumm gescholten, weil sie Johanns Werben nicht nachgeben wollte. Immerhin war er der Sohn des alten Bonner, und dieser war der mächtigste Bauer weit und breit.
Das Mädchen war mit seinen siebzehn Jahren verständig genug, um zu wissen, dass kein wohlhabender Landmann, egal ob jung oder alt, sich eine Magd zur Frau nehmen würde. Nicht einmal als Geliebte, denn die kostete ja Geld. Warum für etwas bezahlen, das umsonst zu bekommen war? Viele Mägde waren bereit, sich dem Herrn hinzugeben. Oft hatten sie kaum eine andere Wahl, wenn sie ihre Stelle behalten wollten. Zu viele Arbeitskräfte warteten darauf, den Platz derer einzunehmen, die sich verweigerten. Was wäre, wenn Johann sich eine fügsamere Magd suchen würde? Auch wenn seine Worte und seine Blicke etwas anderes sagten und ihr große Hoffnung machten. Seine Eltern würden sie niemals dulden, sondern vom Hof jagen. Zwar fühlte auch sie sich zu ihm hingezogen, doch was würde passieren, wenn sie sich ihm hingeben würde? Das Erwachen wäre bitter.
Zu viele ledige junge Mütter gab es in der Stadt, die man fortgejagt hatte und die allein für ihr Kind sorgen mussten. Nur wenn sie Glück hatten, dann behielt der Bauer seinen Bastard, gab ihm zu essen und ein Dach über dem Kopf. Doch meist wollte die hintergangene Ehefrau von dem Fehltritt ihres Mannes nichts wissen, geschweige denn jeden Tag daran erinnert werden.
Hinter vorgehaltener Hand tratschten die Menschen über die unverheirateten Mütter. Selten kamen sie in den festen Dienst einer Familie. Meist fanden sie nur tageweise Arbeit. Ein anderer Mann wollte weder sie noch ihr Balg durchfüttern. So fristeten die oft jungen Mädchen ein ärmliches Dasein. Die unschuldigen Kinder aber mussten, sobald sie alt genug waren, auf dem Feld mithelfen und ihr Stückchen Brot selbst verdienen.
Dieses Wissen machte Franziska Angst, und so konnte sie den Treueschwüren des Jungbauern keinen Glauben schenken. In der Tiefe ihres Herzens hoffte sie, dass auch ein Mädchen von niederem Stand das Recht hatte, die wahre Liebe zu finden. Woran diese allerdings zu erkennen war, wusste Franziska nicht.
Sie dachte an ihre Mutter und das freudloses Leben, das sie führte. Sieben ewig hungrige Mäuler mussten ihre Eltern tagtäglich stopfen. Da blieb wenig Zeit für Zuneigung oder Respekt. Das war auch der Grund gewesen, warum Franziska vor wenigen Monaten nachts von zu Hause fortgegangen war. Es hatte wieder einmal Streit und Schläge gegeben. Sie hatte es nicht mehr ausgehalten. Seitdem nagte das schlechte Gewissen an ihr, denn nun fehlte eine Arbeitskraft daheim.
Doch Franziska wollte ein besseres Leben. Deshalb hoffte sie, dass vielleicht ein Knecht es ehrlich mit ihr meinen und sie nicht nur heiraten würde, um eine Frau zum Schuften zu haben.
Das Mädchen sah Johann nachdenklich an. Seine Hände lagen gefaltet auf seinem flachen Bauch. Seine Augen waren geschlossen, den Grashalm hatte er im linken Mundwinkel eingeklemmt. Franziska rückte etwas näher an ihn heran. Dichte, buschige Augenbrauen, die einen Ton dunkler als seine Haare waren, gaben seinem noch jungenhaften Gesicht einen männlichen Ausdruck. Feine, helle Härchen bedeckten seine Wangen. Von Bartwuchs konnte man wahrlich nicht sprechen. Franziska wusste jedoch, dass Johann trotzdem stolz war, dass bereits die ersten Anzeichen sichtbar waren. Schließlich wurde er bald neunzehn Jahre alt. Einige seiner Freunde konnten sich schon rasieren. Zwar nicht täglich, aber samstags, bevor es zum Tanz ging, prahlten die Burschen aus dem Dorf, dass sie die Rasiermesser schärfen
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