Das Hexenmal: Roman (German Edition)
die Größeren spielten kreischend Nachlaufen. Abends war Katharina oft so erschöpft, dass sie über dem Abendbrot einschlief.
Sie beklagte sich bei Otto, doch der bedachte sie nur mit einem sarkastischen Lächeln und sagte: »Im Laufe der Zeit wirst du dich daran gewöhnen, meine Liebe. Schließlich werden Frauen dazu geboren, Kinder in die Welt zu setzen und ihre Mutterpflichten Tag und Nacht zu erfüllen.«
Wütend funkelten ihre Augen ihn an, was er mit einem lauten Lachen quittierte.
»Das ist deine Pflicht!«, erinnerte er sie stets, wenn sie erschöpft durch die Flure schlich. Ihr zukünftiger Ehemann jedoch entfloh dem »Irrenhaus«, wie er es nannte, und verbrachte seine Zeit lieber bei einem kühlen Krug Bier im Wirtshaus.
Schon bald verspürte Katharina kaum noch Appetit. Ihre Kräfte waren aufgezehrt, und sie war oft zu müde, um auch nur an Essen zu denken. Die Kleidung hing immer formloser an ihrem dünnen Körper. Schließlich ermahnte Otto sie, anständig zu essen.
Als sie eines Tages bei Tisch nur in ihrer Mahlzeit herumstocherte, befahl er ihr mit kalter Stimme, ihren Teller leer zu essen. Selbst die Mutter ermahnte sie, und so tat Katharina, was man von ihr verlangte.
Eines Abends saß sie allein mit Otto im Speisezimmer. Katharina war zum Umfallen müde und hatte keinen Appetit. Auch als Otto sie ermahnte, pickte sie nur wie ein Vögelchen in ihrem Essen herum. Daraufhin schaufelte er den Teller des Mädchens randvoll und wollte sie wie ein Kleinkind füttern.
Als sie sich wehrte, schrie er wütend: »Eine dürre Frau verleidet mir die Freude im Bett. Also iss, damit Speck auf deine Rippen kommt!«
Doch Katharina würgte und weigerte sich, noch einen weiteren Bissen zu sich zu nehmen. Zornig zog er an ihren Zöpfen und fluchte: »Wage nicht, bei unserer Hochzeit wie ein Klappergestell auszusehen und mich zum Gespött der Leute zu machen! Ich will mir nicht nachsagen lassen, dass ich nicht gut für dich sorgen würde. Jetzt mach deinen verdammten Mund auf, und iss den Teller leer!«
In dem Augenblick betrat die Mutter den Raum und sah den verzweifelten Blick ihrer Tochter, die überall mit Essen beschmiert war. Der eisige Blick aus Barbaras Augen veranlasste den Schwiegersohn aufzustehen und hinauszugehen. Erst als sich die Tür hinter Otto schloss, ließ Katharina den Tränen freien Lauf.
Den Kopf an die Schulter der Mutter gelehnt, klagte das Mädchen sein Leid: »Ich kann ihn nicht heiraten, Mutter. Außerdem habe ich meiner Schwester keineswegs ein Versprechen gegeben. Er kann mich nicht zwingen …«
»Katharina – bist du erst einmal seine Frau, wird alles besser. Wenn du ihn nicht erzürnst, wird er sicher ein guter Ehemann sein. Silvia hat sich nie über ihn beklagt.«
Mit tränenverschleiertem Blick schaute das Mädchen ungläubig auf. Katharina hatte Trost und Verständnis von der Mutter erhofft. Und sie hatte ihre Unterstützung erwartet. Aber offenbar verstand die Mutter nicht, dass sie anders war als Silvia. Silvias größter Wunsch war es stets gewesen, sich zu vermählen und viele Kinder zu gebären.
Katharina hingegen hatte nie die Absicht gehabt, eine Familie zu gründen. Ihr Lebensziel sah anders aus. Das hatte ihre Schwester gewusst, und erst recht wusste es die Mutter. Doch sie schien sich nicht erinnern zu wollen. Wieder einmal spürte
Katharina, dass ihre Wünsche nicht zählten. Leise sprach sie auf die Mutter ein: »Mutter, der Hülfensberg … Bald beginnt die Wallfahrt.« Doch Barbara schien ihr nicht zuzuhören. Katharina sah, dass die Mutter mit ihren Gedanken weit weg war und nicht zu bemerken schien, wie unglücklich ihre Tochter sich fühlte.
Katharina täuschte sich nicht. Barbara Jacobi drückten andere Sorgen als das Unglück ihrer jüngeren Tochter. Sie hatte mit dem Arzt gesprochen und gehofft, dass er herausgefunden hatte, was ihrem Mann fehlte und was dagegen zu tun war. Doch seine Antwort war alles andere als ermutigend. Er konnte sich nicht erklären, welche Krankheit den Mann ans Bett fesselte.
Neben den Schmerzen, die Albert Jacobi offensichtlich plagten, wurde er von Tag zu Tag griesgrämiger. Barbara vermutete nun sogar, dass er ihr misstraute. Er bestand darauf, dass sie zusammen die Tageseinnahmen an seinem Bett abrechneten. Anschließend verstaute er das gesamte Geld unter seiner Matratze. Brauchte seine Frau Bargeld, um Rechnungen zu begleichen oder um Lieferanten und Lebensmittel zu bezahlen, musste sie ihn um das Geld bitten und
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