Das Hexenmal: Roman (German Edition)
ihr zu beschäftigen.
Eiligen Schrittes ging er durch Dingelstedt. Kurz vor dem Friedhof bog er in eine kleine Gasse, in der Heinrichs Freund Karl wohnte. Als Clemens bei ihm anklopfte und eintrat, schlürfte der Mann eine dünne Suppe, in die er ein Stück Brot tunkte. Überrascht blickte der Alte auf. Ein Lächeln huschte über sein stoppliges Gesicht. Bevor er etwas sagte, nahm er einen Schluck aus einem Becher Bier, auf dem der Schaum wie eine Krone stand.
»Ich habe mich schon gefragt, wann du kommen würdest.«
»Warum? Hast du mich erwartet?«
»Jo! Oder willst du nicht wissen, was ich weiß? Heinrich hat dir sicherlich aufgetragen, dass du zu mir kommen sollst … Gott wird seiner armen Seele gnädig sein … Er war ein guter Mensch … Er hätte einen schöneren Tod verdient.« Karl schüttelte das struppige Haupt, tunkte das Brot erneut in die Schüssel, bis es mit Brühe vollgesogen war, und biss genüsslich ab.
»Heinrich hat mir vor seinem Tod nichts mehr sagen können. Aber ich hoffe, dass du es mir erzählen wirst. Schließlich habe ich dafür bezahlt.«
Nun schaute der Alte von seiner Schüssel auf. Seine Augen blitzten.
»Und das Geld war gut angelegt!«, sagte er und lachte. Dunkelgraue Bartstoppeln ließen sein Gesicht schmutzig wirken. Dann wischte er sich mit dem dreckigen Hemdsärmel über den Mund, was ein kratzendes Geräusch verursachte.
Er rülpste und sprach dann: »Ach, der Heinrich hat dir nichts erzählt? Komisch … Er wollte doch sofort zu dir …Hm … Nun, jetzt bist du ja da.«
Karl nahm einen weiteren Schluck aus seinem Becher und schob ihn dann Clemens hin. Der leerte ihn in einem Zug. Laut lachend sagte Karl: »Jo, du bist ein richtiger Mann geworden! Ich kenne dich schon seit du …«, er zeigte mit der Hand an die Tischkante, »… so groß warst.« Clemens nickte.
»Also, was hast du mir zu berichten?«, fragte der junge Mann freundlich, aber ungeduldig.
Milchkarl zog die Luft seitlich durch seine Zahnlücken, lehnte sich zurück und verschränkte die Hände auf dem Bauch.
»Ich glaube nicht, dass dein Schwager ein feiner Mensch ist. Sonst würde er solche Spelunken nämlich meiden …«
Clemens beugte sich interessiert über den Tisch.
»Wie meinst du das? Erzähl! Schließlich hast du mein Geld schon ausgegeben.«
»Jo!«, freute sich Milchkarl. Er stand auf und goss aus einem größeren Krug Bier in den Becher. Dann setzte er sich wieder und forderte seinen Besucher auf zu trinken. Hastig trank Clemens einen Schluck und gab den Becher zurück. Nachdem auch Milchkarl einen großen Schluck genommen hatte, erzählte er Clemens mit umständlichen Worten und vielen Gesten, wie er Wilhelm bis in das Hurenhaus gefolgt war.
Enttäuscht meinte der junge Arnold: »Und das ist alles?«
»Ist das etwa nichts?«
»Nein, das ist wahrhaftig nichts. Was ist daran ungewöhnlich? Andere gehen auch in Spelunken und in Hurenhäuser. Ich brauche handfeste Beweise, dass mein Schwager ein dreckiger
Hund ist, einer, der … sogar vor einem Mord nicht zurückschreckt.«
Milchkarls Augen verengten sich zu Schlitzen.
»Was willst du damit sagen, Bursche? Hat das mit Heinrich zu tun?«
Clemens nickte zögerlich.
»Jo, dachte ich es mir doch, so unvorsichtig war Heinrich nämlich nicht. Nicht nur, dass er ein goldenes Händchen für Pferde hatte, er kannte sich auch mit den Bäumen aus. Das muss sich einer mal vorstellen … Man will mich glauben machen, dass Heinrich ein Depp gewesen sein soll, der sich unter einen angesägten Baum stellt und von dem erschlagen wird … Ich wusste doch gleich, dass da etwas faul ist, dass der arme Hund … ermordet wurde er!«
Mit dem verschmutzten Hemdsärmel wischte Karl sich jetzt über die Augen.
»Aber ein Verdacht nützt uns nichts, wenn wir keine Beweise haben!«
»Komm mit, mein Junge, ich werde dir geben, was du suchst! Wir gehen zu Agathe – sie wird dir alles erzählen. Hast du Geld dabei? Ich habe nämlich keinen Käse mehr, den ich ihr als Entlohnung geben könnte.«
Clemens ließ den Lederbeutel mit dem Kupfergeld klimpern.
»Reicht das?«
»Jo!« Karl nickte.
Agathe war von dem Begleiter ihres Stammkunden Milchkarl sichtlich angetan. Nicht nur, dass er noch jung war und glatte Haut hatte – er roch auch gut, was bei ihren Kunden höchst selten der Fall war.
Leise sprach Karl mit ihr. Agathe ließ Clemens dabei nicht aus den Augen. Voller Vorfreude musterte sie ihn eingehend.
Zu ihrem Schutz durften die Frauen stets nur
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