Das Hexenschiff
Kahn, der praktisch aus dem Nichts erschienen war.
Schon wieder ein Schiff, dachte ich und mußte an die alte Brigantine mit dem Fratzengesicht denken. Dieses hier war anders. Viel primitiver. Sehr einfach gebaut, nur mehr ein breiter Kahn, der ein Segel besaß, das von einem Mast flatterte. Es hing schlaff nach unten, denn kein Windstoß fegte mehr über die Straße.
Das Schiff stand auf der Fahrbahn.
In seiner gesamten Breite nahm es sie ein. Zwischen dem Kahn und den Hauswänden befand sich nur mehr so viel Platz, daß ein Mensch gerade noch hindurchgehen konnte.
Wie ein Denkmal ruhte es dort, und es dauerte einige Sekunden, bis ich mich an den Anblick gewöhnt hatte. Dabei kam mir das Vorhandensein des Hexenschiffes wie eine Aufforderung vor, die ich gern wahrnahm, denn ich schritt auf das Schiff zu.
Eine Besatzung hatte ich bisher nicht gesehen. Wenn es das Hexenschiff war und es tatsächlich aus einer anderen Dimension stammte, dann waren auch die Hexen in der Nähe, so daß ich mich auf einige unruhige Stunden gefaßt machen konnte.
Die Westernhelden schreiten zumeist mitten über die Main Street. Bei mir war es etwas anders. Ich hielt mich dicht an der linken Seite und im Schatten der Häuser. Sollten sich Hexen auf dem Kahn befinden, hatten sie mich sicherlich schon entdeckt, doch sie hielten sich vornehm zurück. Das würde nicht so bleiben, dessen war ich mir sicher, und ich ließ auch nicht die Hausfassaden aus dem Blickfeld.
Ich dachte an Bill und Suko. Ob sie ebenfalls gesehen hatten, daß dieses seltsame Schiff gelandet war?
Möglich. Nur griffen sie nicht ein und blieben im Hintergrund. Ein paarmal atmete ich tief durch und schmeckte den Blutgeruch in meiner Kehle. Der Boden war noch weicher geworden. An manchen Stellen stiegen rötliche Dämpfe hoch, und die Sicht hatte sich wieder ein wenig gebessert, denn die Wolken lagen nicht mehr so dicht. Tief sanken meine Füße ein. Der Schlamm befand sich bereits über meinen Knöcheln, er war zäh und versuchte, meine Füße festzuhalten, wenn ich sie aus dem Matsch ziehen wollte.
Daß dieser Kahn auch in früheren Zeiten nicht als hochseetüchtig bezeichnet werden konnte, sah ich ihm an. Auch wenn er damals nicht so verfallen gewesen war. Schwere Brecher würden ihn durchschütteln und kentern lassen.
Zu beiden Seiten der Bordwand befanden sich Ruderbänke. Sie konnte ich besser erkennen, als ich an Bord geklettert war und unter meinen Füßen die morschen Planken spürte.
Einmal fest zutreten, und sie würden brechen. Auch jetzt, wo ich mich auf dem Hexenschiff befand, sah ich niemand. Nur mein Kreuz hatte etwas dagegen. Als ich es aus der Tasche nahm und anschaute, sah ich die leichte Verfärbung. Es strahlte mehr als normal. Eine Warnung…
Ich schritt die Backbordreihe der Ruderbänke entlang. Auch sie waren nicht mehr alle intakt. Fast die Hälfte war eingefallen. In Ordnung waren noch die Ketten, mit denen früher Sträflinge leben mußten. Zwar zeigte sie dicken Rost, aber sie würden halten. Ich dachte wieder an den Fall in Hongkong, als man mich an den Todesfelsen gekettet hatte und Suko mich erst im letzten Augenblick retten konnte. Die Bisse der dämonischen Aale spürte ich heute noch.
Zum Teil waren auch die Ruder vorhanden. Schwere Holzstangen mit breiten Ruderblättern. Vielleicht hatten hier die Hexen gesessen, angekettet, verdammt zur Fronarbeit und eingehüllt von den Flamen des brennenden Schiffs.
Mir rann ein Schauer über den Körper, als ich daran dachte. Das war bestimmt kein Spaß gewesen. Wenn die Hexen jetzt zurückkamen, würden sie sich fürchterlich rächen.
Noch war das Schiff leer…
Ich blieb neben dem Mast stehen, legte den Kopf in den Nacken und schaute in die Höhe. Erst jetzt erkannte ich richtig, wie zerfetzt das Segel war. Es besaß Risse und Löcher. Wahrscheinlich von dem damaligen Brand. Mich wunderte es überhaupt, daß dieses Segel das Feuer überstanden hatte.
Zu den Aufbauten führte eine Holztreppe. Ich nahm die Stufen, von denen zwei zerbrochen waren, blieb auf den Aufbauten stehen und besaß nun einen besseren Blick über das Deck.
Es war wirklich wie leergefegt.
Und doch befand sich jemand in der Nähe. Ich hörte plötzlich eine heisere Frauenstimme, die wie raschelnder Stoff an meine Ohren fuhr.
»Willkommen an Bord, Fremder. Willkommen im Namen der Hexen und im Namen der großen Wikka.«
Scharf drehte ich mich um.
Niemand zu sehen.
Dennoch hatte man mich angesprochen. Einer
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