Das Hipp-Prinzip - wie wir können, was wir wollen
dann nehme ich mir diese Zeit. Denn was heutzutage kaum noch jemand glauben will: Es gibt immer noch genügend Angelegenheiten, die warten können.
Muße bedeutet ja weder, einfach nur Löcher in die Luft zu starren, noch irgendetwas Sinnfreies oder gar Nutzloses zu tun. Mögen viele Arten der modernen Freizeitgestaltung auch lautstark als „entspannend“ angepriesen werden – in meinen Augen sind die meisten eher ermüdende Zeitbanditen, denen ich persönlich lieber aus dem Weg gehe. Das gilt vornehmlich für den Fernseher, den ich nicht jeden Tag einschalte. Die verschiedenen neuen Informations- und Kommunikationstechniken nutze ich, schreibe E-Mails, recherchiere im Internet und besitze ein jeweils halbwegs aktuelles Handy-Modell. Aber ich muss nicht auf Gedeih und Verderb 24 Stunden am Tag und sieben Tage die Woche online sein.
An andere, letztlich wohl ebenfalls sinnvolle Entwicklungen wie das E-Book werde ich mich dagegen kaum noch gewöhnen. Zumal gedruckte Bücher mit ihrer sinnlichen Präsenz mich viel eher zum Lesen anhalten als eine irgendwo gespeicherte Datei. Da passt die Langsamkeit des Mediums für mich einfach besser zum Inhalt. Denn ein gehaltvolles Buch will nicht schnell und nebenbei konsumiert, sondern gründlich gelesen und bedacht werden. So lese ich, um nur das für mich wichtigste Buch zu nennen, regelmäßig die gesamte Bibel, das Alte und das Neue Testament im Wechsel der Jahre. Dazu einen „Reader“ und nicht mein persönliches, mit allen Gebrauchsspuren und Markierungen versehenes, ledergebundenes Exemplar im Taschenformat zu verwenden, käme mir niemals in den Sinn.
Muße bedeutet für mich innezuhalten. Wenn ich einfach nur den Kopf freibekommen will, dann übe ich auf meiner Oboe, höre Musik oder bewege mich an der frischen Luft. Nur mit dem Reiten, einer alten Passion von mir, bin ich in den letzten Jahren kürzer getreten. Vor allem aber ergeben sich über den Tag verteilt immer wieder Gelegenheiten zum stillen Gebet. Dies ist eine der für mich persönlich wichtigsten Formen der Einkehr und der Sammlung.
In jüngeren Jahren habe ich oft genug folgende Erfahrung gemacht: Wenn ich zu sehr verplant, von zu vielen Aktivitäten blockiert und mit allerlei Gedanken vollgestopft war, wenn ichstets an den nächsten Termin dachte, statt mich auf das Nächstliegende zu konzentrieren, dann hatte ich überhaupt keine Chance, für Einfälle und Lösungen offen zu sein. Und so bedeutet „Carpe diem“ für mich, das Richtige zur richtigen Zeit und mit dem richtigen Maß zu tun. Weniger ist da oft mehr. Keine Sache wird ja allein dadurch besser, dass ich mich ihr über viele Stunden widme. Das gilt für praktische Arbeiten, es gilt für die Formulierung von Ideen oder Texten, und es gilt nach meiner Erfahrung auch für die künstlerische Arbeit.
Einer meiner wichtigsten Grundsätze beim Malen lautet, nicht alles zu tun, was ich tun kann, sondern nur das zu tun, was ich tun muss. Weder wenn ich mit einem Bild beginne noch wenn es sich seiner Vollendung nähert, besteht die eigentliche Arbeit im Hantieren mit Farbe, Pinsel und Palette. Am Anfang steht das Ringen um ein Thema. Hier warte ich lieber längere Zeit in Ruhe, bis eine Idee kommt, als dass ich durch Aktivismus das Entstehen von Ideen und meine Aufnahmefähigkeit störe. Denn Fehler, die ich zu Beginn in der Komposition mache, kann ich später mit noch so viel Farbe nicht korrigieren. Sie werden als Last weitergeschleppt und verhindern ein gutes Ergebnis. Schließlich: Höre ich nicht zum richtigen Zeitpunkt auf, kann ich leicht alles kaputtmachen. Weshalb auch zum Schluss hin bei einem Bild ruhige Betrachtung und Überlegung fast wichtiger sind als das Malen selbst.
Wer zuerst kommt, mahlt nicht immer zuerst
Die Vorteile recht verstandener Muße – Einkehr, innere Sammlung, gründliche Überlegung, ausgereifte Entschlüsse – liegen eigentlich auf der Hand. Doch warum neigen Menschen gerade bei wichtigen Angelegenheiten oft zu überbordendem Aktionismus? Mangelnde Geduld mag bei manchen ein Grund sein. Wobei ein Standardsatz aus vielen Bewerbungsgesprächen einen interessanten Hinweis gibt. Zum Handwerkszeug von Personalverantwortlichen gehört ja die Frage an den Bewerbernach seiner größten Schwäche. Meist kommt dann wie aus der Pistole geschossen die Antwort „Ich bin oft zu ungeduldig“. Was der Bewerber damit sagen will, ist folgendes: Eigentlich habe ich gar keine Schwächen. Ich dränge bloß möglichst schnell zur
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