Das Hipp-Prinzip - wie wir können, was wir wollen
Tat. Sollen die anderen herumschwatzen, ich packe den Stier bei den Hörnern! Doch warum empfiehlt beinahe jeder Bewerbungsratgeber unverdrossen dieses abgenutzte rhetorische Bekenntnis? Dahinter steckt die wohl richtige Vermutung, dass schnelles und entschlossenes Handeln in der Wirtschaft höher bewertet werde als gründliches Abwägen – und gelegentlich eben auch mal begründetes Verwerfen – von Handlungsoptionen. Der „Macher“, so lautet das bedauerliche Missverständnis, fackelt nicht lange herum. Wer zuerst kommt, mahlt zuerst! Wogegen Bedenkenträger und Problemsucher bloß den Betrieb aufhalten.
An diesem Punkt hat das Nachdenken zudem eine Art Makel: Außenstehende können nicht sehen, ob jemand tatsächlich über etwas halbwegs Wesentliches nachdenkt oder ob er innerlich auf Durchzug geschaltet hat. Anders gesagt: Von außen betrachtet hat die Reflexion eine fatale Ähnlichkeit mit dem völligen Nichtstun. Das macht sie für viele Praktiker, vor allem aber für ausgewiesene Aktivisten und Verteiler von Fleißkärtchen mehr oder weniger verdächtig. Umso mehr gilt das in solchen Umgebungen, in denen Effizienz und „Ergebnisorientierung“ besonders hochgehalten werden. Dabei zählt leider oft weniger, was diese „Ergebnisse“ wirklich wert sind, als vielmehr die Tatsache, dass überhaupt irgendetwas vorgewiesen werden kann.
So wird ein prall gefüllter Terminkalender zur Demonstration von Bedeutsamkeit – wo er doch in Wahrheit bestenfalls ein Zeichen von Betriebsamkeit ist. Möglichst viele Konferenzen nebst mehrseitigen „Ergebnisprotokollen“ gelten in diesem System als Resultate echter, angestrengter Tätigkeit. Ebenso wie ein halbes Dutzend angestaubter Allgemeinplätze sich leicht zum Ausweis „kreativer“ Kopfarbeit veredeln lässt, wenn sie mit neumodischen Business-Anglizismen aufgepeppt undauf bunt animierten Powerpoint-Folien ausgewalzt werden. Ich möchte nicht falsch verstanden werden: Zweifelsohne sind viele Besprechungen notwendig. Und ein guter, frei gehaltener Vortrag, der eine sinnvolle Idee mit klaren Argumenten vertritt, ist für dessen Hörer ebenfalls keine verschwendete Zeit. Doch bei vielen der in Deutschlands Unternehmen, Verbänden oder Gremien abgehaltenen Routinesitzungen habe ich da durchaus meine Zweifel. Und ich weiß wirklich, wovon ich spreche.
Der zweite „Nachteil“ des Nachdenkens: Nach gründlicher Überlegung komme ich nicht selten zu dem Schluss, dass eine Idee noch nicht ausgereift ist. Dass ihre Konsequenzen, ihre Chancen und Risiken noch nicht hinreichend abzuschätzen sind. Oder dass sie überhaupt wenig taugt. Sprich: Wer nachdenkt, der schreitet im Ergebnis zwar oft zur Tat, vielleicht noch öfter aber zur Unterlassung. Weshalb nachdenklichen Menschen oft der Ruf des Bedenkenträgers vorauseilt. Das erstaunt mich umso mehr, als echte Nörgler, die stets wissen, dass etwas Neues niemals funktionieren wird und man das deshalb immer schon wie bisher gemacht habe, ihre Einwände eher selten mit harten Fakten und bedenkenswerten Argumenten untermauern. Statt auf die Macht des Gedankens vertrauen sie eigentlich nur auf die Macht der Gewohnheit. Und statt mit begründeten Einwänden oder gar Alternativen glänzen sie meistens mit dem Vorschlag, einfach alles beim Alten zu lassen. Weshalb der Hinweis auf mögliche Probleme an sich nichts mit Miesmacherei zu tun hat. Und das Ansinnen, sich eine Sache besser noch einmal durch den Kopf gehen zu lassen, sollte nicht leichtfertig mit Aufschieberei in einen Topf geworfen werden.
Gerade wenn es darum geht, schwierige Entscheidungen zu treffen, gilt bei uns im Unternehmen wie für mich persönlich der Grundsatz: Bevor ich unüberlegt in die falsche Richtung renne, bevor ich am Ende etwas Dummes tue, mache ich zunächst lieber nichts. Manchmal müssen wir einfach Geduld aufbringen, erst einmal Klarheit über alles gewinnen und die Entscheidung reifen lassen. Gewiss darf beim Abwarten auch Tee getrunken werden. Abwarten ist allerdings nicht dasselbewie Aussitzen – und hoffen, dass die Lösung vom Himmel fällt. Abwarten heißt, sich Zeit zum Nachdenken zu nehmen. Probleme zu erkennen, Chancen und Risiken abzuwägen und die Folgen einer Entscheidung so weit wie möglich abzuschätzen. Das wiederum bedeutet, sich gegebenenfalls weitere Informationen zu beschaffen und diese vor dem Hintergrund seines Wissens und seiner Erfahrung einzuordnen und zu bewerten. Das macht Arbeit. Aber es braucht eben auch Muße –
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