Das Hipp-Prinzip - wie wir können, was wir wollen
ausgeübten Tätigkeit in einen anderen Bereich zu wechseln. Und dass die Betreffenden das keineswegs als erfreuliche Beförderung, sondern als schwer kalkulierbare Anforderung betrachtet haben. „Das, was ich mache“, sagen sie mir, „das kann ich doch gut! Warum soll ich also etwas anderes tun?“ Die Angst, im neuen Aufgabengebiet etwas falsch zu machen, ist dann vielleicht größer als die Lust am Wechsel, als die Aussicht auf neue Erfahrungen oder die Freude an einem Gehaltssprung.
Gerade Unternehmer, die ja schon dem Begriff nach gerne Neues unternehmen, sind gut beraten, wenn sie einsehen, dass derart geeichte Menschen nicht weniger zum Erfolg einer Firma beitragen als kreative Visionäre, wagemutige Investoren oder karriereorientierte Alphatiere. Wer auf Sicherheit in vertrauter Umgebung setzt, sollte deshalb auch niemals mit Gewalt ins kalte Wasser neuer Herausforderungen geworfen werden. Er würde womöglich gar nicht aus Mangel an Befähigung, sondern allein aus Angst vor dem Ertrinken untergehen.
Ich selbst gehe ein wie eine Primel im Dauerschatten, wenn ich nicht in unbekannte Regionen vordringen kann. Natürlich habe auch ich – im buchstäblichen wie im übertragenen Sinne – oft genug im Leben am Fuße eines Berges gestanden und mich gefragt, ob und wie ich da hinaufkommen soll. Sorgen wie die, dass mir lange vor Erreichen des Gipfels die Luft ausgehen könnte, dass ich abrutsche oder dass ich zwar heil rauf aber nicht wieder herunter komme, sind mir wahrlich nicht unvertraut. Doch mutig ist schließlich nicht der, der einfachblind losprescht. Mutig ist, wer seine Risiken ebenso wie seine Kräfte realistisch einschätzt. Und wer seine Ängste zu bezähmen weiß.
Irgendwann muss ich allerdings wirklich losgehen. Sonst kann ich weder den Berg spüren noch die bisweilen phantastischen Aussichten genießen. Wer nur einmal eine Bergwanderung gemacht hat, weiß, wovon ich rede. Noch fünfzig Höhenmeter vor dem Gipfel ist nichts als Fels und Geröll zu sehen. Und es ist unsicher, ob die Kraft bis nach oben reicht und sich die Aussicht lohnt. Und dann kommt der eine, entscheidende letzte Schritt. Und die halben Alpen liegen einem zu Füßen. Wohlgemerkt: Für diesen Moment muss es nicht unbedingt der höchste Berg sein; schon viele mittlere Zweitausender bieten so ein Panorama. Gerade auf Deutschlands höchsten Berg, die Zugspitze, kommen Sie bequem mit der Seilbahn, während die Besteigung wirklich nicht jedem zu empfehlen ist. Die Aussicht ist so oder so grandios. Aber das Erlebnis ist im Vergleich zu jenen kleineren Gipfeln, die auch ein leidlich trainierter Wanderer schaffen kann, ziemlich schal.
Gewiss kann jeder Bergsteiger zu jeder Zeit an jedem Gipfel auch scheitern. Manchmal hat einer sich zu viel vorgenommen oder seine Kräfte und Möglichkeiten überschätzt. Manchmal hat einer nicht gerade seinen besten Tag erwischt. Und manchmal liegt es einfach auch am Wetter, das in den Bergen bekanntlich launischer ist als in der Ebene. Aber ohne Risiko gibt es weder am Berg noch in der Wirtschaft noch im täglichen Leben einen Gewinn.
Wir sollten uns freilich nichts vormachen: Scheitern ist möglich. Da hilft keine Augenwischerei. Das Scheitern gehört zum Leben dazu – und damit auch zum Erfolg. Entscheidend ist, wie ich mit Fehlschlägen umgehe. Wenn ich über mich selber lachen kann, weil mir ein komischer Fehler unterlaufen ist, zum Beispiel ein Versprecher in der Öffentlichkeit, dann hilft mir das mehr, als wenn ich mich tagelang gräme. Überhaupt versuche ich umso gelassener zu sein, je kleiner und kurzlebiger die eigenen Fehler und Niederlagen ausfallen. Seltsamerweiseerlebe ich immer wieder, dass Menschen es gerade umgekehrt halten: Während sie über Tage, gar Wochen wegen eines unbedeutenden Fauxpas beinahe verzweifeln, wischen sie schwerwiegende Fehler und Probleme, gar ein echtes Versagen als Künstlerpech beiseite. Oder erklären sich in solchen Fällen lieber zu hilflosen Opfern widriger Verhältnisse, statt den eigenen Anteil am entstandenen Schaden ehrlich und selbstkritisch zu analysieren.
Dabei ist eine Niederlage manchmal konstruktiver als ein Erfolg. Fehler machen einen Menschen nämlich nachdenklich. Er fragt sich, was da genau schief gelaufen ist. Solange alles zum Besten steht, muss ich nicht nachdenken. Ich freue mich, bin vielleicht sogar stolz, oder nehme es einfach nur als gegeben. Aber ich überlege hinterher in aller Regel nicht, wie und warum alles so wunderbar
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