Das Hipp-Prinzip - wie wir können, was wir wollen
Laden mit fünf bis sieben Artikeln. Nur sind es eben nicht bei allen Kunden und jeden Tag die gleichen fünf.
Wenn ich deshalb das Gefühl habe, dass mich die Fülle der Angebote am Markt überfordert, wenn ich denke, dass es ebenso sinnlos wie vergeblich ist, mich zwei Wochen mit der Suche nach dem günstigsten Handytarif zu beschäftigen, dann mache ich mir immer klar, dass ich unter den Abertausenden von Wahlmöglichkeiten eine ganz entscheidende nicht übersehen darf: eben die Freiheit, überhaupt keine Wahl zu treffen. Oder jedenfalls meine Entscheidung nicht allzu wichtig zu nehmen. Stattdessen wundere ich mich dann lieber über solche Zeitgenossen, die zwar vier Wochen auf die Auswahl eines Flachbildfernsehers verwenden, sich dann aber „aus dem Bauch heraus“ in drei Tagen für ein Studienfach entscheiden – oder ohne mit der Wimper zu zucken über Nacht ihre Familie sitzen lassen.
Es ist eine hohe Kunst, den richtigen Gebrauch von seiner Freiheit zu machen. Das Zauberwort dieser Kunst lautet „Güterabwägung“. Immer muss ich mich entscheiden, was mir in einer bestimmten Situation besonders wichtig ist – Qualität oder Preis, Image einer Marke oder persönlicher Stil, Auto oder Urlaub, Konsum oder Kultur. Vor allem aber muss ich michentscheiden, was mir im Leben insgesamt wirklich wichtig ist. Die Qual der Wahl im Laden verblasst ziemlich schnell, wenn ich mir klar mache, dass Konsum und Unterhaltung, zumal in einer freien, wettbewerbsorientierten Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung sicher nicht völlig unwichtig sind. Aber eben auch nicht die Hauptsache.
Wir haben nämlich die Freiheit, nicht alles zu tun, was wir tun könnten. Diese Freiheit des Unterlassens dient oft dem Wohle der Allgemeinheit mehr als die des Handelns – und noch öfter unserem eigenen Wohle. Denn wenn wir es mit der Freiheit übertreiben und uns ungeniert alles zu nehmen versuchen, was wir kriegen können, dann schaden wir anderen, vor allem aber uns selbst.
Vornehmlich gilt das, wenn wir die Grundkonstanten unseres Lebens zum Tummelplatz vermeintlicher Freiheit machen. Denn Freiheit braucht als Gegengewicht Bindung, Loyalität und gefestigte Vertrauensbeziehungen. Sinnerfüllte Arbeit muss mehr als eine momentane Einkommensquelle sein. Auch seinen Lebensmittelpunkt, den Partner, die Familie, seine Freunde, all diese Ankerpunkte unserer Existenz wechselt niemand ungestraft wie seine Unterwäsche. Ebenso wenig wie geistige Grundüberzeugungen und Glaube – andere mögen es lieber „Spiritualität“ nennen – zu Artikeln für einen Sinn-Supermarkt taugen. Wer meint, sich ausgerechnet da immer wieder als frei erleben zu müssen, wo gerade Bindung Freiheitsräume erst eröffnet, der wird bloß ruhelos, aber weder zufrieden noch glücklich. Er gleicht eher einem Süchtigen, der sich bei der endlosen Jagd nach dem Objekt seiner Begierde erschöpft. Am Ende wird er sein Leben vergeudet haben – statt eine Idee vom Sinn seiner Existenz zu entwickeln.
Zwischen Bewahren und Erneuern
Vom richtigen Umgang mit der Tradition
„Ob Du es auch mal so machen wirst?“, fragte meinen Vater schon als Kind dessen eigener Vater. Die gleiche Frage stellte mein Vater auch mir. Und ich stelle sie wiederum meinen Kindern. In unserer Familie ist es seit Generationen üblich, dass alle Familienmitglieder sich immer frei und unverstellt äußern dürfen. Zugleich gehört es zum Geist und zur Kultur unserer Familie, dem Zeitgeist keine leichtfertigen Zugeständnisse zu machen, die den überkommenen Werten widersprechen. Es herrscht also eine Tradition, die den Wert der Tradition selbst schätzt und pflegt, diese zugleich aber auch immer wieder auf den Prüfstand stellt.
Tradition entsteht, wenn Menschen in ihrem Denken und Handeln nicht nur auf die Gegenwart und von da aus in die Zukunft schauen, sondern sich auch der Vergangenheit bewusst sind. Ganz pragmatisch ausgedrückt: Tradition entwickelt sich und kommt etwa da zum Tragen, wo Eltern ihren Kindern schildern, wie es früher war und was alles unternommen wurde, um das Gegenwärtige zu erreichen. Gleiches gilt für die Meister, die den Lehrlingen ihre wertvollen Erfahrungen weitergeben und von deren Herkunft berichten. Tradition ist also eine Form der Übersetzung. Das Wort leitet sich von dem lateinischen Verb tradere ab, was soviel heißt wie weitergeben. Der – im Übrigen sehr umfassende – Begriff Tradition umschreibt also im engeren Sinne das Weitergeben von Erfahrungen und
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