Das Hipp-Prinzip - wie wir können, was wir wollen
Supermarkt, ob im Fachhandel oder im Reisebüro, ja selbst beim Durchblättern des lokalen Kulturkalenders, überall stößt man auf etwas, das eigentlich unmöglich zu sein scheint: auf zu viel Freiheit. Und das hat erhebliche Folgen für unseren Gemütszustand.
Als Erstes führt das Zuviel an Freiheit nachweisbar zu enormen Entscheidungsschwierigkeiten. Nicht immer ist es nämlich so einfach wie beim Chinesen, wo ich sehr schnell sehe, dass sich hinter den 175 Positionen auf der Speisekarte am Ende nur fünf Sorten Fleisch oder Fisch mit drei oder vier verschiedenen Saucen verbergen. Will ich mir zum Beispiel eine Jacke kaufen, dann versteht es sich von selbst, dass ich zwischen verschiedenen Größen wählen kann. Es ist sogar gut, dass es inzwischen fast überall spezielle „halbe“ Größen für eher kleine und korpulente sowie „doppelte“ für besonders großgewachsene Herren gibt. Das erspart vielen den früher nötigen Gang zum Änderungsschneider. Schließlich finde ich es auch noch schön, wenn ich zwischen sieben Farben oder Mustern sowie drei oder vier Herstellern wählen kann. Doch spätestens wenn mir neun verschiedene Marken mit 15 verschiedenen Grauschattierungen angeboten werden, fühle ich mich überfordert. Das Ergebnis ist dann nicht selten, dass ich vorderhand überhaupt keine Jacke kaufe.
Zu diesem Thema des sogenannten „Auswahlkonflikts“ gibt es eine mittlerweile klassische Studie von Sheena Iyengar, Wirtschaftsprofessorin an der New Yorker Columbia Universität,und Mark Lepper, Professor für Sozialpsychologie in Stanford („When Choice is Demotivating: Can One Desire Too Much of a Good Thing?“). Die Forscher boten in einem Supermarkt an einem Probierstand einmal sechs, ein anderes Mal 24 verschiedene Sorten Marmelade an. Jeder Kunde, der dort probierte, erhielt einen Rabattcoupon im Wert von einem Dollar, den er beim Kauf einer beliebigen Sorte des Marmeladenherstellers einlösen konnte. Standen sechs Sorten Marmelade zur Auswahl, dann lösten 30 Prozent der Kunden den Coupon ein. Waren es 24 Sorten, dann kauften nur drei Prozent der Leute Marmelade.
Zum Zweiten erzeugt zu viel Wahlfreiheit große Unsicherheit. Denn je mehr Auswahl ich habe, desto größer ist ja am Ende auch die Zahl der Optionen, die ich ablehnen muss. Statt mich darüber zu freuen, das für mich Richtige oder Passende gefunden zu haben, plagt mich folglich die Sorge, höchstwahrscheinlich etwas noch Besseres übersehen zu haben. Die Sorge, dass es die gleiche Ware oder Leistung anderswo womöglich billiger gab. Oder auch nur die Sorge, dass ich modisch danebengegriffen haben könnte. Zugespitzt gesagt: Zuviel Freiheit macht Angst. Zumal ich eine mögliche Fehlentscheidung niemandem in die Schuhe schieben kann.
Zum Dritten macht große Wahlfreiheit viel Arbeit. Denn da ich die beschriebenen Sorgen aus leidvoller Erfahrung kenne, versuche ich mich natürlich gegen mögliche Fehlgriffe zu wappnen. Ganze Verlagsgruppen mit Hunderten sogenannter „Special-Interest“-Zeitschriften leben von nichts anderem als diesem Informations- und Vergleichsbedürfnis. Sodass ich beispielsweise vor dem Kauf eines neuen Computers erst einmal unter zwei Dutzend Computerzeitschriften wählen muss. Um den Verbraucher im Dschungel der Optionen nicht allein zu lassen, fördert der Staat sogar eine öffentlich-rechtliche Stiftung, die Stiftung Warentest . Mit dem Ergebnis, dass es der kritische und mündige Verbraucher noch schwerer hat als der gedankenlose Impulskäufer. Zumal er sich – sehr zu Recht übrigens – eine ganze Reihe wichtigerer Fragen stellt als bloß die, ob es anderswo schöner, billiger oder lustiger gewesen wäre.Zum Beispiel die, ob ein Produkt, seine Inhaltsstoffe oder seine Herstellung gesundheitlich unbedenklich und umweltverträglich sind. Oder ob das Produkt fair produziert und gehandelt wurde.
Ich bin ein bedingungsloser Verteidiger der Sozialen Marktwirtschaft. Jeder Anbieter sucht sich aus eigenem Antrieb seine Marktlücke. Da wo er sie vermutet. Ob sie wirklich existiert, muss sich dann zeigen. Jeder Kunde sucht sich aus der Vielzahl der Angebote das aus, was er braucht, was er sich wünscht und was er sich leisten kann. Es liegt geradezu in der Natur der Marktwirtschaft, dass er dabei das Allermeiste stehen lässt. Ein Beispiel: Von einem unserer Kunden, einer Drogeriemarktkette, weiß ich, dass eine Filiale im Schnitt rund 12.500 Artikel anbietet. Der durchschnittliche Kunde aber verlässt den
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